Kolumne von Prof. Dr. Dirk Lippold (Ausgabe 18/23) Mit dem Zweiten fährt man (häufig) besser

Seit den 1990er Jahren stehen sie im Mittelpunkt aller Recruiting-Bemühungen: die High Potentials. Sie sind die zentrale Ressource jedes Unternehmens. Keine Personengruppe ist wohl je so umworben worden. Die Gewinnung und Bindung dieser Hochleister ist der grundlegende Beitrag des Personalmanagements zur Wettbewerbsposition und zur Produktivität des Unternehmens. So weit, so gut. Manchmal ist aber auch die zweite Wahl die bessere Wahl. Warum, erläutert Prof. Dirk Lippold in seinem Beitrag.

Bewerberauswahl (Bild: picture alliance / Westend61 | Bartek Szewczyk)

Bei der Bewerberauswahl sollten nicht nur die besten Noten im Vordergrund stehen. (Bild: picture alliance / Westend61 | Bartek Szewczyk)

Da besonders qualifizierte Bewerber zumeist die Wahl zwischen den Angeboten mehrerer Unternehmen haben, können sie auch besonders selbstbewusst bei ihrer Arbeitsplatzwahl auftreten. Somit stehen sich auf dem Arbeitsmarkt für High Potentials zwei Partner „auf Augenhöhe“ gegenüber. Wie sollen sich die personalsuchenden Firmen in solch einer Situation „auf Augenhöhe verhalten? Es gibt grundsätzlich zwei Möglichkeiten, die – wenn sie richtig „gehändelt werden – jeweils ihre Vorzüge haben:

  1. Die Unternehmen machen das “Spielchen” mit und bewerben sich um die Besten, weil sie davon überzeugt sind, dass sie nur mit den allerbesten Kandidaten ihre Ziele erreichen können und zudem auch nur die Rekrutierung von High Potentials zu ihrem Image passt.
  2. Die Unternehmen machen das Rennen um die Besten ganz einfach nicht mit. Stattdessen konzentrieren sie sich auf die (vermeintlich) Zweitbesten, also auf diejenigen Hochschulabsolventen, die nicht zwingend Jahrgangsbeste sind und die nicht mit Zeugnissen aus dem „Jenseits aufwarten können.

Die Personalmarketing-Gleichung geht nicht immer auf

Schauen wir uns die erste Option einmal näher an:

Die große Gefahr dabei ist, dass sich die Unternehmen im Wettbewerb um die Besten mit horrenden Einstiegsgehältern und sonstigen „Goodies gegenseitig überbieten.

Bereits heute liegen die Einstiegsgehälter in bestimmten Branchen im Bereich der Vergütung von Junior-Professoren an Universitäten. Um hier erfolgreich zu bestehen, d.h. ohne auf dem Gehaltssektor erpressbar zu werden und die Gehaltsinflation nicht noch weiter anzuheizen, sind Unternehmen zum Umdenken gezwungen und dazu veranlasst, ihre Personalauswahlprozesse neuzugestalten und auszuweiten. Als praxiserprobtes Vorgehensmodell und Handlungsrahmen kann dazu die Personalmarketing-Gleichung dienen.

Um im Wettbewerb um die Besten erfolgreich zu bestehen – so die Denkhaltung der Personalmarketing-Gleichung – müssen geeignete Bewerber quasi als Kunden genauso umworben werden wie potenzielle Käufer von Produkten und Dienstleistungen. Daher ist auch die Übertragung von Begriffen wie PositionierungSegmentierungKommunikation oder auch Branding, die allesamt ihren Ursprung und ihre konzeptionellen Wurzeln im klassischen Marketing haben, auf das Personalmarketing eine wichtige Grundlage für den erfolgreichen „War for Talents“. High Potentials werden heute von Unternehmen umworben, noch bevor sie die Hochschulausbildung abgeschlossen haben. Weil solche Talente mittlerweile über fundierte Netzwerke in den sozialen Medien verfügen, sind sie über konventionelle Recruiting-Kanäle wie Stellenanzeigen kaum zu erreichen.

Performance statt Noten und Potenziale

Kommen wir zur zweiten Option:

Natürlich sind (Abschluss-) Noten nicht unwichtig, aber immer mehr Unternehmen erkennen, dass es kurzsichtig und manchmal auch wenig dienlich sein kann, die Note als einziges Zulassungskriterium zum persönlichen Vorstellungsgespräch für Hochschulabsolventen heranzuziehen, um die richtigen Kandidaten für den ausgeschriebenen Job zu gewinnen. 

Solche Unternehmen suchen vielmehr nach dem oder der Zweitbesten. Hervorragende sportliche Leistungen oder zwei Masterabschlüsse in verschiedenen Bereichen, ein selbstfinanziertes Studium vielleicht sogar über den zweiten Bildungsweg oder berufsbegleitend, ein Engagement als Schul- oder Studierendensprecher, Praktika oder Auslandsaufenthalte, die allesamt vielleicht zu einer etwas schlechteren Durchschnittsnote, aber auch zur Entwicklung der individuellen Persönlichkeit beigetragen haben, können den Unternehmen mindestens genau so viel Wert sein, wie die Noten mit der „Eins vor dem Komma“.

Performance statt Potenziale“ ist hier die Losung, denn Potenziale sind zunächst einmal nur vage Erwartungen – also Hoffnungen auf Leistungen, die der Kandidat später einmal erbringen könnte. Oder auch nicht. Doch wie kann man Performer erkennen?  In dem man bspw. auf Lebensläufe achtet, die Ergebnisse und nicht Positionen in den Mittelpunkt stellen. Hierbei handelt es sich in aller Regel um besonders wirksame Führungsnachwuchskräfte.

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Zur Vertiefung:

D. Lippold: Personalmanagement und High Potentials: Top-Talente finden und binden, Berin/Boston 2021.
D. Lippold: Personalmanagement im digitalen Wandel. Die Personalmarketing-Gleichung als prozess- und wertorientierter Handlungsrahmen, 3. Aufl., Berlin/Boston 2019.

 

Über die Person

Prof. Dr. Dirk Lippold ist Dozent an verschiedenen Hochschulen. Seine Lehrtätigkeit umfasst die Gebiete Unternehmensführung, Marketing & Kommunikation, Personal & Organisation, Technologie- und Innovationsmanagement sowie Consulting & Change Management. Zuvor war er viele Jahre in der Software- und Beratungsbranche tätig – zuletzt als Geschäftsführer einer großen internationalen Unternehmensberatung. Auf seinem Blog www.dialog-lippold.de schreibt er über aktuelle betriebswirtschaftliche Themen.

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