Interview mit Prof. Dr. Dirk Lippold Die beiden Wertschöpfungsketten Personalbeschaffung und Personalbetreuung nachhaltig optimieren

Kürzlich ist die vierte Auflage des Lehrbuchs „Modernes Personalmanagement“ von Prof. Dr. Dirk Lippold erschienenen. PERSONALintern sprach mit ihm über aktuelle Entwicklungen im Personalmanagement, die dem Buch zugrunde liegende Personalmarketing-Gleichung und Tipps für Studierende und Berufseinsteiger. Der Hochschuldozent äußert sich nicht nur zum neuen Selbstverständnis von Personalern, sondern verrät auch, was er von den Begriffen Employer Branding und Arbeit 4.0 hält.

Prof. Dr. Dirk Lippold

Herr Prof. Lippold, kürzlich ist Ihr Lehrbuch „Modernes Personalmanagement“ in seiner vierten Auflage erschienen. Seit der ersten Auflage im Jahr 2011 haben sich die Arbeitswelt und damit die Anforderungen an Personalverantwortliche stark gewandelt. Auf welchen Feldern gab es aus Ihrer Sicht die fundamentalsten Veränderungen?

Dirk Lippold: Als ich die erste Auflage schrieb, war mir das Handelsblatt-Zitat „Die Personalabteilung spielt in vielen deutschen Unternehmen eine unbedeutende Rolle. Wenn kein Prinz sie erlöst, muss sie sich schon selber helfen“, nachhaltig im Gedächtnis. Damals befanden sich Unternehmen, die einen Arbeitsplatz anboten, in einem Verkäufermarkt. Sie konnten sich die passenden Bewerber weitgehend problemlos aussuchen. Der Druck auf das Personalmanagement war nicht allzu groß.

Das hat sich grundlegend geändert. Es war sicherlich kein Prinz, der es erlöst hat. Aber die Umsetzung des Konzepts „HR als Business Partner“, der technologische Wandel und der zunehmende Fachkräftemangel haben den Druck auf das Personalmanagement derart verstärkt, dass sich viele Personalbereiche neu erfunden beziehungsweise ein neues Selbstverständnis entwickelt haben.

Aus diesem neuen Verständnis heraus geht die Personalwirtschaft heute die aktuellen Anforderungen, die der Generationenwechsel, hybride Arbeitskulturen oder New Work-Führungsansätze mit sich bringen, deutlich selbstbewusster und offensiver an.

Ein zentraler Ansatz in Ihrem Buch ist es, im Sinne einer „Personalmarketing-Gleichung“ Erkenntnisse aus dem Absatzmarketing auf das Personalmanagement zu übertragen. Können Sie die dahinter liegenden Überlegungen und die Vorzüge aus Ihrer Sicht kurz erläutern?

Dirk Lippold: Die Idee der Personalmarketing-Gleichung beruht auf zwei Grundüberlegungen. Zum einen ist es die Darstellung und Analyse der Wertschöpfungs- und Prozessketten eines Unter­nehmens, zum anderen ist es die enge Analogie zur Marketing-Gleichung im (klassischen) Absatzmarketing.

Generell sind es zwei Phasen, die die Wertschöpfungskette des Personalmanagements beziehungsweise des Personalmarketings bestimmen: Die Phase der Personalbeschaffung und die Phase der Personalbetreuung. Während die Personalbeschaffung auf die Mitarbeitergewinnung abzielt, ist die Personalbetreuung auf die Mitarbeiterbindung ausgerichtet. Um den Personalbeschaffungsprozess optimieren zu können, ist es sinnvoll, die Prozesskette in seine einzelnen Aktionsfelder zu zerlegen: Segmentierung, Positionierung, Signalisierung, Kommunikation sowie Personalauswahl und -integration. Analog dazu wird die Prozesskette der Betreuung in ihre Aktionsfelder aufgeteilt: Personalvergütung, Personalführung, Personalbeurteilung, Personalentwicklung und Personalfreisetzung.

Daraus ergeben sich zwei Zielfunktionen, eine zur Optimierung der Prozesskette Personalbeschaffung und eine zur Optimierung der Prozesskette Personalbetreuung. Dieser Optimierungsansatz lässt sich in seiner Gesamtheit auch – analog zur Marketing-Gleichung im Absatzmarketing – als (zweigeteilte) Personalmarketing-Gleichung darstellen. Dabei geht es nicht um eine mathematisch-deterministische Auslegung dieses Begriffs. Angestrebt ist vielmehr der Gedanke eines herzustellenden Gleichgewichts und Identität zwischen dem Wettbewerbsvorteil an sich und dem vom Bewerber beziehungsweise Mitarbeiter honorierten Wettbewerbsvorteil.

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Die aktuelle Ausgabe ist um das Kapitel „Neuere Herausforderungen und Entwicklungen“ erweitert. Welche Inhalte finden die Leserinnen und Leser dort?

Dirk Lippold: Zu den wesentlichen Erweiterungen der vierten Auflage gehört ein Abschnitt über aktuelle Trends in der Personalwirtschaft. Dazu zählen die Digitalisierung und der technologische Wandel, der Medien-Mix sowie die Kommunikation über Distanzen. Besonders herausgehoben werden auch der Generationenwechsel, der Umgang mit hybriden Arbeitskulturen und die Auswirkungen auf die Personalmarketing-Gleichung.

Vertieft werden diese Trends in einem umfangreichen Kapitel über New Work. Im Mittelpunkt stehen dabei neue Führungsansätze wie Super Leadership, agile, virtuelle, geteilte, verteilte oder digitale Führung sowie deren Vereinbarkeit mit den bisherigen Organisationen. Aber auch die Frage, wieviel Demokratie eigentlich Führung verträgt, wird ausführlich diskutiert.

Ein weiterer Abschnitt befasst sich mit der Internationalisierung der Personalarbeit. Internationalisierungsaktivitäten, die sich im Zuge der Globalisierung ständig ausweiten, haben in Abhängigkeit vom Umfang, den Zielländern sowie der Internationalisierungsstrategie Auswirkungen auf nahezu all Aktionsfelder des Personalmanagements.

Schließlich habe ich noch einen Abschnitt zum betrieblichen Gesundheitsmanagement aufgenommen. Stress, Beeinträchtigung der Work-Life Balance, Burnout-Gefährdung und Workaholimus sind Problemfelder der Beschäftigten, denen sich das moderne Personalmanagement heutzutage verstärkt widmen muss.

D. Lippold: Modernes Personalmanagement. Personalmarketing im digitalen Wandel, 4. Aufl., Berlin/Boston 2023.

Gibt es Trends oder „Modeerscheinungen“ im Personalmanagement, die Sie bewusst nicht berücksichtigt haben und/oder von denen Sie abraten?

Dirk Lippold: Employer Branding und Arbeit 4.0 habe ich aus meinem Vokabular gestrichen, obwohl beide Begriffe in den letzten Jahren einen richtigen Hype erlebt haben. Das möchte ich kurz erläutern:

Die Employer Brand übersetzen wir gerne mit Arbeitgebermarke. Es gibt aber bereits eine Marke des Arbeitgebers, die sich an alle Zielgruppen des Unternehmens wie Kunden, Lieferanten, Presse, Gläubiger, Gesellschafter, Anteilseigner (Shareholder) und eben auch an Bewerber und Mitarbeiter wendet: die Corporate Brand, also die Unternehmensmarke.  Wenn man nun für bestimmte Shareholder-Gruppen eine eigene Marke kreieren würde – also beispielsweise eine Arbeitgebermarke für Bewerber und Mitarbeiter – dann müsste man konsequenterweise auch eine Lieferantenmarke oder eine Shareholder-Marke entwickeln.

Das ist aber nicht nötig, denn ein leistungsfähiges Corporate Branding, also eine gut geführte Unternehmensmarke, beinhaltet bereits alle Merkmale einer starken Arbeitgebermarke.

Und sollte sich die Employer Brand tatsächlich von der Corporate Brand unterscheiden, dann hätte das Unternehmen wirklich ein Problem …

Kommen wir zur Arbeit 4.0. Sogar in Regierungskreisen wird Arbeit „Vier-Punkt-Null“ als neueste und modernste Ausprägung der Tätigkeit unserer hart arbeitenden Bevölkerung angesehen. Doch was ist eigentlich Arbeit 4.0? Und noch sinniger: Was ist dann Arbeit 1.0, 2.0 und 3.0? Allerdings muss man die gleiche Frage auch bei Mittelstand 4.0, Technologie 4.0, Banken 4.0, Facility 4.0, Consulting 4.0, Marketing 4.0, Deutschland 4.0 und so weiter stellen. Einzig bei Industrie 4.0 nicht, denn das – übrigens ausschließlich deutsche – Phänomen Industrie 4.0 kann man ja noch irgendwie nachvollziehen.

Schließlich sind es die vier industriellen Revolutionen, an denen sich die Ziffer „Vier“ orientiert: Die Dampfmaschine brachte die erste industrielle Revolution. Elektrizität und Fließband läuteten die zweite ein und die Automatisierung durch IT und Elektronik löste die dritte industrielle Revolution aus. Als Fortsetzung dieser Entwicklung wurde in Deutschland – aber eben auch nur in Deutschland – mit der Verschmelzung von Industrie und Informationstechnik der Begriff Industrie 4.0 als vierte industrielle Revolution eingeführt. Warum nun aber auch viele Bereiche, die von dieser Verschmelzung nur indirekt betroffen sind und keine drei Revolutionen hinter sich haben, ebenfalls zur „Vier-Punkt-Null“-Familie gezählt werden, bleibt mir verschlossen.

Hauptzielgruppe sind Bachelor- und Master-Studierende der Wirtschaftswissenschaften, die es ins Personalmanagement zieht. Welche Qualifikationen, Kompetenzen und Einstellungen legen Sie diesen besonders ans Herz, wenn es gilt, in der Personalfunktion einen entscheidenden Beitrag zum Unternehmenserfolg zu leisten?

Dirk Lippold: Für den Einstieg in das Berufsleben, aber auch für die persönliche Weiterentwicklung, ist es für jeden Kandidaten und für jede Kandidatin unerlässlich, sich den Unterschied zwischen Wissen, Kompetenzen und Qualifikationen klar vor Augen zu führen. 

Das Wichtigste sind zunächst die Qualifikationen. Dazu gehören Abitur, Sprachkenntnisse, Examen, Berufserfahrung, Auslandsaufenthalte, außeruniversitäres Engagement und Ähnliches. Qualifikationen sind eher formal und müssen zwingend durch Zeugnisse und andere Leistungsnachweise im Vorfeld belegt werden. Sie entscheiden in aller Regel auch darüber, ob man zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wird.

Im zweiten Schritt kommen dann Kompetenzen (z. B. Dienstleistungsdenken, Organisations- und Teamfähigkeit, analytisches Denkvermögen, Kommunikationsfähigkeit und diplomatisches Geschick) und Wissen (z. B. Präsentations- und Moderationstechniken, IT-Know how, Wissen um Zukunftstrends) hinzu.

Besonders wichtig für zukünftige Personaler sind tiefgreifende Kenntnisse im Arbeits- und Sozialrecht sowie im Datenschutz.

Wichtig sind ebenso Erfahrungen im Projektmanagement und Kenntnisse im Mobile Recruiting (vornehmlich LinkedIn und Xing).

Das sind also die Eigenschaften, Kompetenzen und Fähigkeiten, die eine Persönlichkeit wirklich ausmachen und um die es den Unternehmen eigentlich geht, wenn sie den personalen Nachwuchs suchen und einstellen wollen. Kompetenzen und Wissen können zumeist nur im direkten Kontakt – also im Vorstellungsgespräch oder im Assessment Center – herausgefunden werden. Hier geht es für die Personaler darum, möglichst tief in die Persönlichkeit des Bewerbers oder der Bewerberin einzutauchen.

Wer sollte sich das Buch sonst noch zu Gemüte führen?

Dirk Lippold: Die zweite Hauptzielgruppe neben den Bachelor- und Masterstudierenden sind die – vor allem jüngeren – Personaler, die in ihren Unternehmen noch etwas bewegen wollen. Mit dem Buch und der Personalmarketing-Gleichung als Nukleus erhalten die Nachwuchskräfte im Personalbereich einen Handlungsrahmen und einen Denkansatz, mit dessen Hilfe sie die beiden Wertschöpfungsketten Personalbeschaffung und Personalbetreuung nachhaltig optimieren und damit verbessern können.

Das Interview führte Alexander Kolberg.

 

Über die Person

Prof. Dr. Dirk Lippold ist Dozent an verschiedenen Hochschulen. Seine Lehrtätigkeit umfasst die Gebiete Unternehmensführung, Marketing & Kommunikation, Personal & Organisation, Technologie- und Innovationsmanagement sowie Consulting & Change Management. Zuvor war er viele Jahre in der Software- und Beratungsbranche tätig – zuletzt als Geschäftsführer einer großen internationalen Unternehmensberatung. Auf seinem Blog www.dialog-lippold.de schreibt er über aktuelle betriebswirtschaftliche Themen.

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