Zukunft Personal Europe Künstliche Intelligenz, Employer Branding und New Work für Blue Collar

„The Big New“ – unter diesem Motto fand vom 12. bis 14. September in Köln die Zukunft Personal Europe statt. PERSONALintern war vor Ort dabei und schildert die noch frischen Eindrücke.

ZP Europe 2023 (Bild: Closer Still Media GmbH)

Prof. Dr. Miriam Meckel sprach in Ihrer Keynote zu den Auswirkungen von KI auf die Arbeitswelt. (Bild: Closer Still Media GmbH)

Der Andrang war mit über 20.000 Besuchenden groß auf der diesjährigen Zukunft Personal Europe, die vom 12. bis zum 14. September in den Hallen der Koelnmesse stattfand. Kein Wunder, bei einem noch einmal auf 750 Sessions erweiterten Vortragsprogramm und mehr als 600 Ausstellern. Die Stimmung war gut – war laut, bunt, manchmal auch schrill an den Ständen. In den verschiedenen Sessions wurde lebhaft diskutiert – auch mit den Keynote Speakern im Anschluss an die jeweiligen Vorträge. Die waren teilweise so gut besucht, dass gefühlt ein Drittel der Interessierten am Rande standen oder auf dem Boden saßen – mitunter hätten ein paar Stühle mehr gutgetan. Die oben beschriebene Trubeligkeit ging zudem manchmal zu Lasten der Akkustik auf den verschiedenen, über die Messehallen verteilten Stages. Besonders prominente Themen waren dort Künstliche Intelligenz, Recruiting & Employer Branding sowie Gesundheit am Arbeitsplatz. Wir konnten nicht überall sein, deshalb hier einige ausgewählte Impressionen.

Menschen wollen mitgestalten

Einen weiten Bogen über aktuelle Themen der Arbeitswelt spannte die Auftakt-Podiumsdiskussion „Es lebe der Mensch! People Centric Companies - Konzepte, Praxistipps und Nutzen“ mit Prof. Dr. Simone Kauffeld, TU Braunschweig; Christina Bösenberg, BCG Brighthouse; Malte Hansen, ISS Communication Services, und futureOne-Gründer Ali Mahlodji. Es ging unter anderem um das Zusammenspiel von KI und Mensch (Stichworte: Responsible AI, kluges Datenmanagement und den ‚Human in the Loop‘ bei KI-basierten Entscheidungsprozessen), Fachkräftemangel und hohe Abwanderungsquoten auch bei frisch eingestellten Mitarbeitenden (Stichworte: Ehrlichkeit im Recruiting, Onboarding mit stetigen Informationen und sozialen Kontaktpunkten) und New Work. Christina Bösenberg berichtete hierzu von guten Erfahrungen mit Agilität auch im Bereich Automotive und Blue Collar-Mitarbeitenden: „Menschen wollen ihren Arbeitsplatz mitgestalten. Wo sie es nicht tun, liegen meist eher äußere Gründe vor.“ Es ging auch um die Vermittlung von als richtig erkannten Veränderungen. "Menschen sind veränderungsbereit. Führungskräfte treiben Mitarbeitende aber teilweise in den Widerstand hinein", so die Beobachtung von Prof. Kauffeld. Dies zeige sich vielerorts am Beispiel Gender / Diversität. "So, wie manchmal gesprochen wird, können es die Leute nicht mehr hören."

Schlüsselkompetenzen im Fokus

Mit „Skills First – Die Lösung für unseren Arbeitskräftemangel?“ setzte sich eine weitere Session auseinander. Barbara Wittmann, Peer Knoops und Kristin Lena Keveloh (alle LinkedIn) hatten Antonio Gniel, Global Director of Talent Attraction and Acquisition (HR International) von Lidl zu Gast. Grundgedanke: Weg vom Denken in Lebensläufen, Abschlüssen und Jobtiteln – hin zur Frage, welche Fähigkeiten für den konkreten Job benötigt werden. Ergo: Keine Stellenbeschreibungen mehr mit 20 Bulletpoints! „Wir müssen zudem viel mehr auf Schlüsselkompetenzen schauen, die auch der Motor für Lernen und Weiterbildung in Unternehmen sind“, so Antonio Gniel. Beispiele seien Lernfähigkeit, Reflexionsvermögen, Resilienz. „Die Frage ist: Wie können wir diese Kompetenzen prüfen? Den Rest bringen wir bei.“ Bei Lidl seien im Rahmen eines internationalen Projektes beispielsweise ein ehemaliger Perlentaucher und ein Ex-Hotel-Manager als Filialleiter rekrutiert worden. „Quereinsteiger – dieser Begriff sollte eigentlich nicht mehr verwendet werden. Wir müssen alle ständig neu lernen“, kommentierte Barbara Wittmann. Gniel sieht zudem die Rolle von Recruitern im Wandel: „Recruiting muss viel mehr in die Innenschau gehen“, so seine Forderung. Dazu gehöre die Beschäftigung mit dem internen Talent Pool ebenso wie mehr Tuchfühlung zu anderen Abteilungen im Unternehmen. Als Beispiel nannte er das Einholen von Insights zu Zielgruppen zusammen mit der Marktforschungsabteilung.

ZP Europe 2023 (Bild: Closer Still Media GmbH)

Die Messehallen waren gut gefüllt. (Bild: Closer Still Media GmbH)

KI und die Arbeitswelt

Prof. Dr. Miriam Meckel, Co-Founder und CEO von ada Learning, hielt eine Keynote mit dem Titel „ChatGPT & Co: Wie generative künstliche Intelligenz die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt verändern wird“. Sie stellte unterschiedliche Einsatzfelder generativer KI wie die Erstellung von Stellenprofilen einer CHRO und die Möglichkeit vor, „Wissen im Unternehmen zu speichern und in Gesprächsform für alle zugänglich zu machen.“ Sie beschrieb aber auch Szenarien wie den Wegfall von bis zu 300 Millionen Jobs (Zahl von Goldman Sachs) – mit Hinweis darauf, dass es gerade nicht die im Zuge der Technologisierung einmal als besonders gefährdet angesehen „Blue Collar“-Tätigkeiten treffen wird, sondern eher Anwälte, Banker und Backoffice-Tätigkeiten. Zudem warnte sie vor dem vermehrten Einsatz von Deep Fakes, die – sofern sie Donald Trump treffen – i.d.R. als amüsant empfunden werden. Sie können sich aber auch gegen Produkt- und Arbeitgebermarken richten. Meckel ging auch auf (diskriminierende) menschliche Biases und fehlende Diversität in Führungsetagen ein, die KI verlässlich reproduziert: „Das kann man der KI nicht vorwerfen… Aber es sagt uns, wie unsere Welt aussieht und wie wir mit den Daten aus unserer realen Welt umgehen müssen, wenn wir wollen, dass sie sich verändern kann.“

KI spielte natürlich auch eine zentrale Rolle beim „HR Tech Gipfel“, den Reiner Straub (Haufe) moderierte. Auf dem Podium: Jonas Rieke, COO von Personio; Uta Ernst-Diarra, Managing Director von Workday; Lars Thiwissen, Head of SuccessFactors Germany (SAP) und Prof. Dr. Martin Kersting von der Justus-Liebig-Universität Gießen. Tenor: Potenziale für den Einsatz Künstlicher Intelligenz im Personalbereich sind vorhanden – allerdings kann Technik gerade in einem derart People-zentrierten Bereich menschliche Entscheidungen nicht ersetzen. Die Entwicklung und Integration von KI-Elementen in ihre Lösungen gehen die Marktteilnehmer bedächtig an. Gerade für den deutschen Markt spielen dabei auch restriktive Datenschutzgesetze eine Rolle.

HR & Nachhaltigkeit und No-Shows am ersten Arbeitstag

Prof. Dr. Anabel Ternès von Hattburg, SRH Institut für Nachhaltiges Management, und Prof. Dr. Stefan Fischer, Hochschule Pforzheim, sprachen über „Nachhaltigkeit als HR-Erfolgsfaktor“. HR kommt den beiden Experten zufolge beim Thema Nachhaltigkeit unter anderem ins Spiel, wenn es gilt, in der Personalauswahl Tendenz zum nachhaltigen Handeln zu prüfen, bei der Entwicklung/Qualifikation von Mitarbeitenden und Führungskräften sowie bei der Gestaltung von Zielvereinbarungen. Denn: „Viele Führungskräfte verbinden „Sustainability“ heute noch mit Verlust“, so Fischer. Zudem seien die meisten KPIs in Unternehmen ökonomisch und könnten eine eventuell vorhandene intrinsische Motivation zu sozial und ökologisch nachhaltigem Handeln konterkarieren.

Moritz Sherpa, Produktmanager bei Haufe, beschrieb, „wie digitales Onboarding, Chatbots und menschliche Nähe Hand in Hand gehen können“. Hintergrund u.a.: Eine wachsende Zahl von Arbeitnehmenden kündigt kurze Zeit nach dem Einstieg beziehungsweise tritt die Stelle gar nicht erst an (Studienergebnisse dazu hier). „Es geht darum, Personen die Sicherheit zu vermitteln, dass es die richtige Entscheidung war.“ Ein spannender Ansatz: Bereits in der „Preboarding-Phase“ – also der Zeit zwischen Vertragsunterschrift und dem ersten Arbeitstag – die „Neuen“ mittels App mit Informationen versorgen und gegebenenfalls Prozesse anstoßen, die ab Tag 1 relevant sind. „Digitales Onboarding kann den menschlichen Kontakt nicht ersetzen, ihn aber bereichern und optimieren“, so Sherpa.

ZP Europe 2023 (Bild: Closer Still Media GmbH)

Großen Zuspruch erhielten auch die meisten Rednerinnen und Redner auf der Zukunft Personal, wie hier im von XING gesponserten Vortragsbereich. (Bild: Closer Still Media GmbH)

Change und Neurowissenschaften – New Work für Blue Collar

Sebastian Herbst, Geschäftsführer des Roth-Instituts, gab einen Abriss zu „Change Management aus neurowissenschaftlicher Sicht“, Gründen für Widerstände und wie sie abgebaut werden können. Hintergrund: Unser Gehirn verbraucht gut 20 Prozent der täglichen Energie – Routinen führen zu ihrer Einsparung, aber auch zur Vermeidung von Risiken. Das Problem: „Automatismen werden durch das Gehirn belohnt – bei Veränderung droht Belohnungsentzug.“ Es gehe in Veränderungsprozessen daher darum, gute Gründe zu finden, die eine höhere Belohnungsaussicht darstellen.

Prof. Dr. Gunther Olesch, Geschäftsführer von GO Performance sowie langjähriger Geschäftsführer von Phoenix Contact, und Frank Hauser, Geschäftsführer von Great Place to Work Deutschland, zogen in ihrer Session „New Work in Industrie und Produktion“ gegen eine „Zweiklassengesellschaft“ ins Felde. Die drohe nämlich im Hinblick auf die Mitarbeitenden in Büros und in der Verwaltung und denjenigen, die in den Werkhallen die Produkte herstellen. Hier gebe es im Sinne des Industriestandorts Deutschland dringenden Handlungsbedarf in Sachen Arbeitgeberattraktivität (Stichworte: Flexibilisierung & Schichtarbeit, Gesundheit, Aufwertung der Arbeitsplätze im Hinblick auf Ausstattung und Optik = Wertschätzung). Die GPTW-Initiative „Ausgezeichnete Arbeitgeber Fachkräfte Fertigung und Industrie“, deren Partner Olesch ist, soll dabei unterstützen.

Fazit: Die ZPE bot viele interessante Einblicke in die HR-Praxis verschiedener Unternehmen und Anregungen von Lösungsanbietern, die die Personalarbeit von heute und morgen erleichtern können. Allerdings war der Eindruck von PERSONALintern auch: Es gab Jahre, in denen Erkenntnisse aus der Wissenschaft auf der Messe noch prominenter gespielt wurden und mehr Personalvorstände und CHROs in Vorträgen oder Diskussionsrunden ihren Blick auf die Zukunft der Arbeitswelt preisgaben.

Jetzt den PERSONALintern-Newsletter abonnieren

Personalveränderungen +++ Fachbeiträge +++ Termine +++ Stellenangebote
 

Über die Person

Alexander Kolberg ist als Redaktionsleiter für die Inhalte von PERSONALintern.de zuständig. Zudem unterstützt er innerhalb des Smart News Fachverlags die Redaktionen der Schwesterportale CONSULTING.de und marktforschung.de. Er verfügt über mehrjährige Redaktionserfahrung bei Fachpublikationen im Bereich Personalmanagement und war zudem über vereinhalb Jahre als Referent für einen Industrieverband tätig.
E-Mail: alexander.kolberg(at)personalintern.de

Kommentare:

Noch keine Kommentare zu diesem Artikel. Machen Sie gerne den Anfang!


Bitte loggen Sie sich ein, um zu kommentieren:

Login
Bitte warten, Verarbeitung läuft ...