Personalthema Kommt mit dem KI-Zeitalter die Renaissance der Gewerkschaften?
Gewerkschaften im Wandel
Der Grad des Einflusses und der Bedeutung von Gewerkschaften in verschiedenen Ländern, einschließlich Deutschland, hat in den vergangenen Jahren aufgrund des Rückgangs ihrer Mitgliederzahl deutlich abgenommen. Lag diese im größten Dachverband, dem DGB, 1991 noch bei über elf Millionen, sank sie kontinuierlich auf etwas über sechs Millionen im Jahr 2010 und lag Ende 2022 bei 5,6 Millionen. Für Deutschland lässt sich dieser Rückgang am besten durch folgende Faktoren erklären:
- Strukturwandel der Wirtschaft: Der Übergang von einer industriellen zu einer dienstleistungsorientierten Wirtschaft hat die Art unserer Arbeit verändert. Viele traditionelle Branchen, in denen Gewerkschaften stark waren, sind geschrumpft. Neue Sektoren hingegen sind oft weniger gewerkschaftlich organisiert.
- Globalisierung: Die zunehmende Globalisierung hat den Druck auf Unternehmen erhöht, wettbewerbsfähig zu bleiben. Die Folgen sind Umstrukturierungen, Outsourcing und Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland, was die Verhandlungsmacht von Gewerkschaften geschwächt hat.
- Arbeitsmarktflexibilität: Es gab einen Trend zu mehr befristeten Verträgen und Zeitarbeit, was die traditionelle Rolle der Gewerkschaften in der Verhandlung von Arbeitsbedingungen erschwerte.
- Jüngere Generationen (Generation Z): Die Bindung jüngerer Arbeitnehmer an Gewerkschaften ist und war in der Vergangenheit geringer als bei älteren Generationen. Jüngere Menschen haben häufig eine andere Wahrnehmung von Arbeitsverhältnissen und haben weniger Bedürfnisse, sich gewerkschaftlich zu organisieren.
- Imageprobleme: Einige Gewerkschaften haben Schwierigkeiten, sich als modern und relevant für die aktuellen Arbeitsbedingungen zu positionieren. Das Image von Streiks und Konflikten hat auch potenzielle Mitglieder abgeschreckt.
Trotz dieser Entwicklungen spielen Gewerkschaften in Deutschland nach wie vor eine wichtige Rolle und besitzen insbesondere in bestimmten Branchen und Regionen viel Einfluss und Macht. Sie spielen eine Schlüsselrolle bei Tarifverhandlungen, beim Thema Arbeitsrecht und in der Politik.
Wie könnten Gewerkschaften ihre Rolle in der KI-Arbeitswelt neu definieren und (wieder) an Bedeutung gewinnen?
Durch die Automatisierung von Arbeitsplätzen und KI-gesteuerte Systeme drohen potenziell Millionen von Jobs obsolet zu werden. Gleichzeitig entstehen laufend neue Berufsfelder und Arbeitsmöglichkeiten. Diese Entwicklung wirft die Frage auf, welche Rolle Gewerkschaften spielen. Und welche „Herausforderungen“ sie sich in der KI-Ära für ihre (Neu-)positionierung zunutze machen sollten.
Soziale Gerechtigkeit von morgen mitgestalten
Da KI-Systeme zunehmend unsere Lebens- und Arbeitswelt beeinflussen, rücken ethische Aspekte immer mehr in den Vordergrund. In diesem Kontext haben Gewerkschaften die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass diese Systeme die Rechte, die Privatsphäre und die Würde der Arbeitnehmenden wahren.
Die Einführung von KI am Arbeitsplatz sollte jedoch nicht nur aus technischer Sicht betrachtet werden. Gewerkschaften können den Rahmen für einen sozialen Dialog schaffen, in dem Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Technologieanbieter und gesetzliche Vertreter gemeinsam über optimale KI-Implementierungen nachdenken.
Es besteht auch die Befürchtung, dass mit dem technologischen Fortschritt die Kluft zwischen Technologiekenntnis und -unwissenheit wächst. Um dies zu verhindern, setzen sich Gewerkschaften für gleichberechtigte Bildungszugänge und technologische Weiterbildungen ein. Ferner kann die Implementierung von KI Ängste und Bedenken bei den Arbeitnehmenden auslösen. Hier bieten Gewerkschaften Unterstützung und Hilfsressourcen an, um den Übergang in die neue technologische Ära zu erleichtern. Schließlich könnten Gewerkschaften bei der Forschung und Entwicklung von KI mitwirken, um sicherzustellen, dass die entwickelten Technologien wirklich im Interesse der Arbeitnehmenden stehen.
Neue rechtliche Herausforderungen im Arbeitsschutz
Gewerkschaften haben eine wichtige Rolle im Arbeitsschutz, insbesondere bei der Fairness gegenüber Mitarbeitenden in technologischen Berufen. Sie setzen sich dafür ein, dass sowohl menschliche Arbeitnehmer als auch KI-Systeme angemessene Arbeitszeiten, Löhne und Arbeitsbedingungen genießen. In einer sich ständig weiterentwickelnden Technologiewelt ist Anpassungsfähigkeit entscheidend.
Daher können Gewerkschaften dazu beitragen, dass Arbeitnehmer kontinuierlich Möglichkeiten zur Weiterbildung und Umschulung erhalten, um mit den neuesten technologischen Entwicklungen mithalten zu können.
Es besteht das Risiko, dass durch die verstärkte Integration von KI die Rechte der Arbeitnehmer beeinträchtigt werden. Hier spielen Gewerkschaften eine zentrale Rolle, um diese Rechte zu verteidigen und sicherzustellen, dass Arbeitnehmer in alle Entscheidungen einbezogen werden, die ihre Arbeitsverhältnisse beeinflussen könnten. Und angesichts des rasanten Fortschritts in der KI-Technologie können Gewerkschaften eine treibende Kraft bei der Formulierung neuer gesetzlicher Regelungen sein, um den dynamischen Arbeitsbedingungen gerecht zu werden.
Lässt sich auch die Generation Z von der Notwendigkeit von Gewerkschaften überzeugen?
Die Generation Z, eine Gruppe von jungen, talentierten und zukunftsorientierten Menschen, bringt neue Perspektiven und andere Erwartungen an die Arbeitswelt mit sich. Gewerkschaften haben jetzt die Chance, diese neue Generation für die Gewerkschaftsbewegung zu gewinnen, indem sie folgenden Schwerpunkte in den Mittelpunkt stellen:
- Flexible Arbeitsstrukturen: Viele Mitglieder der Generation Z wünschen sich Flexibilität in ihrer Arbeit, sei es durch Telearbeit, flexible Arbeitszeiten oder projektbasierte Aufträge. Gewerkschaften sollten sich dafür einsetzen, dass solche Arbeitsformen fair und sicher sind.
- Umwelt- und Klimaschutz: Besonders besorgt ist die Generation Z über Umwelt- und Klimafragen. Wenn sich Gewerkschaften stärker in diesen Bereichen engagieren und sicherstellen würden, dass Arbeitsplätze nachhaltig und umweltfreundlich sind, würden sie bei der jüngeren Generation punkten.
- Diversität und Inklusion: Auch legt die Gen Z großen Wert auf Inklusion und Diversität. Daher sollten sich Gewerkschaften für ein inklusives Arbeitsumfeld einsetzen, das Diskriminierung jeglicher Art bekämpft.
Fazit
In einer von KI dominierten Arbeitswelt geht es für Gewerkschaften also nicht nur um Bestandsschutz, sondern um Anpassung und Neuorientierung.
Mit der richtigen Strategie können sie sich jetzt (wieder) als relevante und unverzichtbare Gestalter etablieren und dabei helfen, den technologischen Wandel human und sozialverträglich zu gestalten.
Diese Chance sollten sie nutzen – insbesondere auch, um die Generation Z zu überzeugen. Es ist entscheidend, Gewerkschaften in den Diskurs über KI und Automatisierung einzubinden, um sicherzustellen, dass die menschliche Dimension nicht verloren geht.
Über die Person
Harald R. Fortmann ist Unternehmer, Autor und Experte für Digitalisierung und die Arbeitswelt der Zukunft. Als Executive Partner der Personalberatung five14 berät er Industrie und Mittelstand bei der Besetzung von Führungspositionen und der strategischen Planung und Umsetzung ihrer digitalen Transformation. Seit 2020 ist er im Vorstand des Fachverbandes Personalberatung im BDU e.V.
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