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Interview mit Christian Baumann, Präsident des GVP „Die Politik sollte die unglaubliche Wertschöpfung anerkennen, die wir als Branche leisten“
Anfang Dezember 2023 ging aus dem iGZ und dem BAP der Gesamtverband der Personaldienstleister e.V. (GVP) hervor, dessen erster Präsident Sie sind. Warum kam es zur Verschmelzung von BAP und iGZ? Und welche Impulse für die Branche versprechen Sie sich?
Christian Baumann: Man müsste eigentlich die Frage stellen: Was hat uns davon abgehalten, den Schritt nicht schon früher zu gehen? Wir hatten in der Vergangenheit eine Dualität von zwei ähnlich großen Arbeitgeberverbänden, die mit Ausnahme des Wettbewerbs, der grundsätzlich förderlich sein kann, eigentlich nur Nachteile hatte. Etwa hinsichtlich der Bündelung von Interessen, Ressourcen und Zeiteinsatz.
In einer Zeit, in der die gesamte Branche unter massivem Druck steht, ist das nicht klug.
Da wir erstmals in der Lage sind, mit einer Stimme für eine gesamte Branche zu sprechen – mit einer klaren Rhetorik und einem einheitlichen Programm in der Kommunikation nach außen – können wir eine noch größere Integrationswirkung auf Personen und Dienstleister entfalten, die in unserer Branche tätig sind.
Eine der ersten großen Aufgaben des GVP war die Verhandlung mit der Tarifgemeinschaft Leiharbeit des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) über einen neuen Tarifabschluss. Die Tarifentgelte aller Entgeltgruppen steigen nun zum 1.10.2024 um 3,7 Prozent und zum 1.3.2025 um 3,8 Prozent, bei einer Laufzeit von 18 Monaten. Wie bewerten Sie die erzielten Ergebnisse?
Christian Baumann: An dieser Stelle müssten eigentlich unsere beiden Verhandlungsführer Sven Kramer und Sven Schwuchow antworten, bei denen ich mich herzlich für diesen gelungenen Abschluss unter schwierigsten Vorrausetzungen bedanken möchte. Es konnte abgewendet werden, was die Gewerkschaften ursprünglich gefordert hatten. Dennoch ist die zusätzliche Belastung noch in diesem Jahr ohne jeden Zweifel eine echte Herausforderung angesichts der schwierigen Zeiten für die Arbeitgeber. So wurde nach intensiven Verhandlungen eine Lösung gefunden, welche die Belange der Arbeitnehmer respektiert und sich gleichzeitig an der wirtschaftlich absoluten Schmerzgrenze für die Unternehmen bewegt.
Sie sprachen eben vom Druck, unter dem Ihre Branche steht. Welche Themen treiben die GVP-Mitglieder aktuell besonders um?
Christian Baumann: Am meisten brennt den Unternehmen das Thema Tarifpolitik unter den Nägeln, weil wir in den vergangenen Jahren branchenunabhängig eine deutliche Verteuerung der Arbeit erlebt haben, auch durch staatlichen Eingriff. Etwa beim Mindestlohn, der inzwischen so hoch ist, dass es zu Reaktionen unserer Kundenbetriebe führt, die für den deutschen Arbeitsmarkt nicht förderlich sind. Ich spreche hier von der Auslagerung von Produktion ins Ausland und der massiven Automatisierung.
Wobei Automatisierung sinnvoll und richtig ist. Aber die Umwandlung von Arbeit in Deutschland in Arbeit im Ausland ist hochgradig kritisch. Für uns als Branche speziell deshalb, weil immer noch ein großer Teil der Menschen, die wir beschäftigen, im Bereich der geringqualifizierten Arbeit zu finden ist.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Gesetzgebung. Es werden immer wieder neue Ideen dazu ins Spiel gebracht, wie man unsere Branche regulieren könnte. Und das ohne Not.
Welche Gesetzesvorhaben oder bestehende Regulierungen meinen Sie? Was stört Sie besonders?
Christian Baumann: Lassen Sie mich an dieser Stelle zunächst einmal grundsätzlich sagen, dass ich ein Verfechter der freien Marktwirtschaft bin. Und als solcher bin ich davon überzeugt, dass staatliche Intervention grundsätzlich toxisch ist für die Entwicklung von Wohlstand, aber auch für die Gestaltung kluger sozialer Systeme. Meiner Erfahrung nach hat sich herausgestellt, dass sich nahezu jede staatliche Intervention oder Regulierung nachträglich schlecht oder defizitär auf unsere Branche ausgewirkt. Das bringt sowohl Wohlstandsverlust als auch Verlust an Chancen für viele Menschen, die in der Arbeitswelt unterwegs sind, mit sich.
Bestes Beispiel war noch bis vor Kurzem das Schriftformerfordernis im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, ein Relikt aus analogen Zeiten. Umso erfreulicher, dass die Bundesregierung nun beschlossen hat, die Schriftform durch die Textform zu ersetzen. Das bedeutet eine spürbare Bürokratieentlastung, insbesondere für kleine und mittelständische Zeitarbeitsunternehmen. Ganz offensichtlich hat unsere Verbandsstellungnahme zum Bürokratieentlastungsgesetz IV Wirkung gezeigt.
Jetzt liegt der Ball beim Deutschen Bundestag, diese bürokratischen Entlastungen schnell im parlamentarischen Verfahren zu verabschieden und damit Gesetz werden zu lassen.
Das ist für uns ein erster wichtiger Erfolg. Doch leider wirken andere Einschränkungen auch weiterhin regelrecht behindernd bei der Beschäftigung von Drittstaatsangehörigen sowie den sektoralen Verboten von Zeitarbeit in der Fleischindustrie und im Bauhauptgewerbe. Diese Branchenrestriktionen sind sogar verfassungsrechtlich äußerst zweifelhaft und müssen aufgehoben werden.
Welche Botschaft haben Sie an die Politik?
Christian Baumann: Die Politik sollte anfangen, die unglaubliche Wertschöpfung anzuerkennen, die wir als Branche leisten, auch im Sinne von Integration und Kampf gegen den Fachkräftemangel. Ohne uns wären ganz viele Menschen heute nicht in Arbeit. Wir nehmen die Menschen so, wie sie sind: Ohne Berücksichtigung ihrer Herkunft und ihrer bisherigen Erwerbsbiografie.
Die Politik sollte auch verstehen, dass wir nicht nur die Branche für die Bemühten und Beladenen sind, die keine Alternative haben.
Zeitarbeit ist extrem bunt: Wir reden auch über höchst qualifizierte Menschen, die im Rahmen von Zeitarbeit im Einsatz sind. Und Zeitarbeit ist nicht immer nur eine temporäre Option – viele Menschen schätzen das Jobmodell wegen der abwechslungsreichen, unterschiedlichen Einsatzmöglichkeiten, gepaart mit einem festen Arbeitsvertrag und sozialer Absicherung.
Sie sprechen den Fachkräftemangel an. Wo kann Ihre Branche bei seiner Behebung oder Linderung unterstützen?
Christian Baumann: Ich glaube beispielsweise, dass die Zukunft für den Mittelstand auf der Personalseite zu einem großen Teil in der Zeitarbeit liegt. Denn in einer komplexer werdenden Welt müssen sich Betriebe auf Kernkompetenzen konzentrieren. Ein großer Handwerksbetrieb wird selten eine Personalabteilung aufbauen können, die die gesamte Bandbreite des People Managements abdeckt. Selbst mittelständische Wirtschaftsbetriebe haben es schwer, exzellente Personalgewinnung aus dem Ausland durchzuführen. Unsere Branche kann hier kompetent unterstützen: Wir rekrutieren inzwischen in ganz Europa, aber auch in anderen Kontinenten, nicht nur im Sinne der Arbeitnehmerüberlassung.
Zeitarbeit hatte und hat nicht immer den besten Ruf, was die Arbeitsbedingungen für die Zeitarbeitnehmenden angeht. Inwieweit hat die Branche sich hier weiterentwickelt?
Christian Baumann: Noch vor zehn Jahren waren Zeitarbeitnehmer in der Wahrnehmung sowohl der Unternehmen als auch der Stammbelegschaft Arbeitnehmer zweiter Klasse. Das sehe ich heute nicht mehr. Zeitarbeitskräfte werden längst als Teil des Teams anerkannt und ihre Expertise wird geschätzt. Wechselnde Einsätze bei unterschiedlichen Kunden bedingen durch die neu hinzukommenden Erfahrungen ja auch eine zunehmende Qualifizierung der Mitarbeiterschaft. Die teils recht hohen Übernahmequoten von Zeitarbeitnehmern in die Stammbelegschaft sprechen eine deutliche Sprache.
Grundsätzlich arbeiten wir als Personaldienstleister bei der Sicherstellung guter Arbeitsbedingungen immer Hand in Hand mit den Kunden.
Wir versuchen alles dafür zu tun, diese dahingehend zu beraten, dass sich die Kollegen, die über unsere Betriebe kommen, maximal wohlfühlen. Das zahlt sich doppelt aus: Erstens haben wir davon den Vorteil eines besseren Bewerberzulaufs. Zweitens haben die Arbeitgeber, die Zeitarbeit nutzen, die Möglichkeit schneller Personal aufzubauen.
Lassen Sie uns über den GVP und die Branche sprechen. Wo stehen Sie aktuell bei der Integration der beiden Verbände?
Christian Baumann: Die Zusammenführung von Verbänden ist fast so komplex wie M&A-Aktivitäten in der freien Wirtschaft. Man versucht zwei Organisationen zusammenzuführen, ohne dass Silos entstehen. Erste Priorität war es sicherzustellen, dass die Strukturen kulturell zusammenfinden, vom Hauptamt bis zum Ehrenamt. Dabei galt es, die Leistungsfähigkeit aufrechtzuerhalten und dafür zu sorgen, dass die Mitglieder möglichst wenig davon mitbekommen, dass wir uns in einem Transformationsprozess befinden. Ich glaube, das ist uns gut gelungen, sodass wir schon jetzt bereit sind, die nächsten strategischen Schritte anzugehen. Dazu gehören beispielsweise die weitere Digitalisierung der Verbandsarbeit und perspektivisch die Internationalisierung im Sinne einer europäischen Interessensvertretung.
Welche neuen Angebote werden Sie den Mitgliedern als Verband machen?
Christian Baumann: Viel wird sich um das Thema Qualifizierung drehen. Wir wissen, dass wir heute andere Kompetenzen benötigen, als es beispielsweise vor zehn Jahren der Fall war. Dazu gehören beispielsweise digitale Schlüsselqualifikationen, wie digitale Wissenserschließung oder die Analyse komplexer Daten. Aber auch nicht-digitale Qualifikationen wie adaptives Lernen, Problemlösungsfähigkeit, unternehmerisches Denken und Kreativität. Zudem sind Qualifikationslücken ein wesentlicher Grund für Einstiegs-, Vermittlungs- und Beschäftigungshürden in einem sich stark wandelnden Arbeitsmarkt.
Deshalb ist Personalentwicklung durch Qualifizierung der beste Weg, um verdeckte Potenziale der Beschäftigten zu entdecken und diese durch gezielte Qualifizierungsmaßnahmen zu Fachkräften weiterzubilden.
Wir möchten unsere Unternehmen dahingehend beraten, diese Kompetenzen strukturiert aufzubauen und gegebenenfalls auch aktiv bei Kunden zu monetarisieren. Darüber hinaus wird es auch eine Ausweitung der Rechtsberatung geben.
Bei vielen anderen Themen sind wir als Verband gefordert, agil zu reagieren. In einer rezessiven Phase braucht es beispielsweise eher Angebote, die den Aspekt der Geschäftssicherung beinhalten als solche mit expansiver Ausrichtung. In diesem Sinne werden wir unsere Angebote immer bedarfsorientiert anpassen.
Die meisten der 5.600 GVP-Mitgliedsunternehmen kommen aus Zeitarbeit und Personalvermittlung. Welche Dienstleistungen rund um das Thema Personal wollen Sie noch ansprechen?
Christian Baumann: Wenn Sie so fragen: Theoretisch könnten wir einen großen übergreifenden Verband gut gebrauchen, der das Thema Arbeit behandelt – unabhängig davon, ob sie intern oder von extern im Sinne von Zeitarbeit, Know-how-Zuwachs durch Beratung oder ähnlichem geleistet wird. Das ist allerdings ein Zukunftsthema und wäre die Kür nach der Pflicht. Zur Frage, für wen der GVP auch interessant sein könnte: Der Freelancer-Markt beispielsweise ist interessant und in Deutschland mitunter unterrepräsentiert, obwohl wir echte Hidden Champions haben. Wir würden uns auch freuen, wenn Unternehmensberatungen mit Schwerpunkt Personal im Verband aktiv wären. Auch im Bereich Qualifizierung und Bildung gibt es Schnittmengen zu Personaldienstleistern.
Inwieweit stehen Personaldienstleister selbst vor einem Fachkräftemangel? Was können die Unternehmen, was der GVP für die Attraktivität einer Karriere in der Branche tun?
Christian Baumann: Den Fachkräftemangel spüren wir natürlich auch. Dazu kommt: Wir sind als Branche einen gewissen Braindrain gewohnt. Personaldienstleistung ist eine dynamische Branche, in der Geschwindigkeit eine große Rolle spielt. Nicht alle wollen dieses Tempo ihr ganzes Arbeitsleben lang gehen. Als Verband sind wir gefragt, dafür zu sorgen, dass das Berufsbild attraktiv ist.
Und wir müssen unsere Mitgliedsunternehmen befähigen und animieren, auch über Bedarf zu qualifizieren, auszubilden und Arbeitsbedingungen attraktiv zu gestalten.
Wir verfolgen zwei Ansätze: Einerseits stärken wir seit Jahren den Beruf Personaldienstleistungskaufmann/frau. Und wir arbeiten intensiv an der Akademisierung der Personaldienstleistungsbranche. In Kooperation mit der Fachhochschule des Mittelstands (FHM) haben wir den Fernstudiengang Human Resource Management, Schwerpunkt Personaldienstleistung (B.A.)“ ins Leben gerufen. Das ist ein Aufbaustudium für ausgebildete Personaldienstleistungskaufleute, die berufsbegleitend, online und in zwei Jahren den Bachelorabschluss erwerben. Unabhängig davon leisten wir bereits viel in Sachen Personalentwicklung, wovon auch andere Branchen profitieren.
Inwiefern?
Christian Baumann: Wir können stolz darauf sein, ein Katalysator für viele Karrieren im Personalbereich zu sein. Ganz oft fangen junge Menschen nach Ausbildung oder Studium in der Personaldienstleistung an, entwickeln dort ihre Kompetenzen, gehen nach drei bis fünf Jahren in die Personalabteilung von Konzernen und werden dort Führungskraft. Das sind hochprofessionelle Menschen, die mit Leistungsdruck und Geschwindigkeit umgehen können.
Ich habe noch niemanden getroffen, der aus der Zeitarbeit kommt, und dann in anderen Beschäftigungsverhältnissen nicht erfolgreich war.
Das Interview führte Alexander Kolberg.
Über den Gesamtverband der Personaldienstleister e. V. (GVP)
Der GVP entstand Anfang Dezember 2023 durch die Verschmelzung des Bundesarbeitgeberverbandes der Personaldienstleister (BAP) und des Interessenverbandes Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (iGZ). Der Verband mit seinen rund 5.600 Mitgliedsunternehmen verfügt dadurch über jahrzehntelange Erfahrung in der Interessenvertretung der Branche und versteht sich als Sprachrohr für die Personaldienstleister in ihrer ganzen Vielfalt.
Über die Person
Christian Baumann ist seit Dezember 2023 Präsident des GVP und CEO der House of HR Germany GmbH mit Hauptsitz in Hamburg. Während seiner Offizierslaufbahn studierte er an der Universität der Bundeswehr in Hamburg Pädagogik. Anschließend sattelte der Diplom-Pädagoge mit einem MBA und M. Sc. in Human Resources Management auf. Christian Baumann sammelte Erfahrungen in verschiedenen leitenden Positionen bei großen Personaldienstleistern und war seit 2017 Bundesvorsitzender des GVP-Vorgängerverbandes... mehr
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