Interview mit Alexander R. Petsch, HRM Institute “Mitarbeiterbindung ist das, was Recruiting vor zehn Jahren war“
Das HRM Institute hat im Frühjahr die ursprünglich für Anfang April angesetzte HR Tech abgesagt und eingestellt. Könnten Sie uns noch einmal kurz erläutern, warum es zu dieser Entscheidung kam und wie schwer es Ihnen fiel sich von der Messe zu verabschieden?
Alexander R. Petsch: Wir haben schon früh in diesem Jahr mit der Besucherwerbung für die HR-Tech begonnen. Die Resonanz war nicht so, wie wir uns das vorgestellt haben. Wir sind dann in unserer internen Analyse zum Schluss gekommen: Die Messe ist nicht mehr zeitgemäß. Das klingt erst einmal paradox, weil HR-Technologie ein absolutes Trend- und Zukunftsthema ist.
Für den Erfolg einer B2B-Messe ist allerdings entscheidend, dass sich Besucherzielgruppen konkret mit ihren Herausforderungen angesprochen fühlen.
Wir haben festgestellt: Gerade weil HR-Technologie inzwischen so tief in Recruiting- und Personalauswahl, Talent Management- und Lernprozessen sowie anderen Bereichen des Personalmanagements integriert ist, ist sie besser bei thematisch zugespitzten Messen aufgehoben ist als bei einer allgemeinen HR Software Messe. Aus ähnlichen Gründen gibt es ja beispielsweise auch keine CEBIT mehr. Um das zu erkennen, braucht es einen gewissen Abstand und eine gewisse Erfahrung. Geschmerzt hat die Entscheidung schon, weil ja über die Jahre viel Herzblut in die Veranstaltung geflossen ist und auch in die am Ende abgesagte Messe bereits viel Arbeit geflossen ist.
Wie haben die bereits angemeldeten Aussteller die Entscheidung aufgenommen?
Alexander R. Petsch: Wir haben für die Entscheidung eigentlich nur positives Feedback bekommen. Die Aussteller erwarten einen Return on Investment für ihre Standbuchung und wollen sich nicht in halbvollen Hallen präsentieren. Gleichzeitig schätzen sie es, wenn ihnen durch eine klare thematische Ausrichtung einer Messe der Selektionsprozess der für sie relevanten Ansprechpartner abgenommen wird. Das tun wir mit unseren anderen Expos inzwischen deutlich klarer.
Inwiefern bleibt es jetzt eine Herausforderung, alle Dienstleister von der HR Tech auf die anderen Expos des HRM Institutes zu verteilen?
Alexander R. Petsch: Das ist in dieser Absolutheit ehrlich gesagt ein Anspruch, den wir nicht erfüllen können und wollen. Die allermeisten Anbieter sind auf unseren Expos TALENTpro, L&Dpro und STAFFINGpro gut aufgehoben und treffen dort auf „ihr“ Publikum. Es gibt aus unserer Sicht am Ende nur zwei Bereiche, die auf der HR Tech vertreten waren, für die wir jetzt keine Heimat mehr bieten. Das sind die Bereiche Zeiterfassung und Lohn- und Gehaltssoftware. Wobei Zeiterfassung in einem weiteren Sinne auf unserer neuen Expo RETENTIONpro sicher einen Platz finden wird – dort, wo es um Themen wie Lebensarbeitszeit oder flexible Arbeitszeiten rund um Hybrides Arbeiten geht. Ob dann die Lösungen und Ansätze vor Ort an Ständen gezeigt werden müssen, bin ich noch nicht sicher. Auf jeden Fall ist es ein inhaltliches Thema.
Sie weisen auf die für April 2025 angesetzte RETENTIONpro hin, die sich um Mitarbeiterbindung drehen soll. Warum hat sie sich inhaltlich so sehr als neuer Teil Ihres Portfolios aufgedrängt?
Alexander R. Petsch: Gedanklich haben wir die RETENTIONpro schon ein paar Jahre in der Schublade liegen und vorbereitet. Aus unserer Wahrnehmung ist Mitarbeiterbindung das, was Recruiting vor zehn Jahren war. Seitdem haben wir im Recruiting ja eine explosionsartige Entwicklung und Ausdifferenzierung von Produkten, Dienstleistungen und Unternehmensbereichen erlebt, in denen heute viele Spezialistinnen und Spezialisten unterwegs sind. Dasselbe erwarten wir für die Bereiche Retention, Mitarbeiter Engagement und Employee Benefits.
Recruiting bleibt ein zentraler Bestandteil des HR-Managements und mit der TALENTpro ganz wichtig in unserem Expo-Portfolio.
Wenn ich allerdings die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die ich suche, auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr in dem Maße finde, bleiben aus unserer Sicht nur zwei Hebel, um als Unternehmen weiterhin zu performen: Zum einen Personalentwicklung, dafür machen wir ja seit Jahren schon die L&Dpro. Und zum anderen müssen Arbeitgeber dafür sorgen, dass sie möglichst wenige Leistungsträgerinnen und Leistungsträger verlieren. Mitarbeiterbindung ist eine komplexe Angelegenheit, nicht zuletzt, da ja auch die Erwartungshaltungen der Beschäftigten zunehmend individuell sind und sich je nach Lebensphase unterscheiden. Hier wollen wir mit der RETENTIONpro Orientierung bieten.
Welche Themen wollen Sie auf der Messe konkret bespielen?
Alexander R. Petsch: Rund um Mitarbeiterbindung gibt es viele inhaltliche Themen, Tools und Lösungen, die über den symbolischen Obstkorb hinausgehen. Tiefergehende Fragestellungen sind unter anderem: Wie gehen wir mit den Themen Demografie und Gesunderhaltung um? Welche Arbeitsformen und Führungsansätze zahlen auf Zufriedenheit ein? Welche neuen Ansätze beim Thema Compensation & Benefits gibt es?
Auf der Ausstellerseite werden wir sicherlich viele Anbieter aus dem Bereich Employee Benefits haben. Ein extrem breites Feld, das über rein monetäre Anreize im Sinne mehr Netto vom Brutto hinaus auch Absicherungsthemen wie Altersvorsorge und betriebliche Krankenversicherung umfasst.
Betriebliches Gesundheitsmanagement bekommt mit der zunehmenden Bedeutung von Mental Health noch einmal einen neuen Dreh. Auch Corporate Social Responsibility ist längst ein Arbeitgeberthema, Mitarbeitende wünschen sich hier involviert zu sein. Spannend finde ich zum Beispiel auch neuartige, nachhaltige Mobilitätskonzepte, bei denen Mitarbeitende aus einem Menü aus Zug, Dienst, Rad, Carsharing wählen können.
Am Ende geht es darum, Zufriedenheit auch messbar zu machen und die Ergebnisse in die Weiterentwicklung der Unternehmenskultur und Angebote für Mitarbeitende einfließen zu lassen.
Spezialisten für Mitarbeitendenbefragungen finden bei der RETENTIONpro deshalb ebenso ein Zuhause wie Dienstleister rund um Office- und Homeoffice-Lösungen, Employee Engagement-Technologien und Mitarbeiterverpflegung.
Als nächstes steht am 11. und 12. Juni die TALENTpro auf dem Veranstaltungskalender. Welche neuen Formate oder Angebote für Aussteller und die Besucherinnen und Besucher haben Sie sich überlegt?
Alexander R. Petsch: Wir haben beispielsweise zwei neue Expertentage als Begleitkongresse ins Leben gerufen, die mit ihrem Programm auf spezielle Zielgruppen zugeschnitten sind. Zum einen der „High Value Recruiting Expert Day“. Der richtet sich ausschließlich an Besucherinnen und Besucher aus Unternehmen, die hohe Recruiting-Volumina ab im Schnitt mindestens 100 offene Stellen pro Jahr zu bewältigen haben – Großunternehmen, Filialisten, aber auch schnell wachsende Unternehmen. Da haben wir von Praxisbeispielen unter anderem der Deutschen Bahn, BioNTech und Volkswagen bis zu Impulsen von spezialisierten Dienstleistern wie Adecco wirklich ein tolles Programm auf die Beine gestellt. Beim zweiten Expertentag „Public Sector Expert Day“ geht es um Recruiting und Employer Branding speziell für die Kommunen, Städte und öffentliche Einrichtungen.
Mit Blick auf alle ihre Expos – inwiefern beobachten sie aktuell bestimmte Trends, die sich über alle Bereiche des Personalmanagements ziehen?
Alexander R. Petsch: Seit vergangenem Jahr und noch einmal verstärkt in diesem Jahr beobachten wir natürlich, dass sich das Thema Digitalisierung und KI durch alle Bereiche zieht. Ich glaube, dass wir in diesem Jahr in eine Phase eintreten, in der wir genau sehen, welche KI-Anwendungen und Lösungen uns in der HR-Arbeit wirklich weiterbringen. Daher trennt sich hier nun die Streu vom Weizen.
Auch die weitere Professionalisierung und Spezialisierung in den einzelnen HR-Prozessen geht immer weiter voran.
Vor wenigen Jahren haben ehrlich gesagt die wenigsten im Recruiting gewusst war zum Beispiel Performance Marketing ist, und wie es ihnen helfen könnte BewerberInnen zu finden. Heute sind auch im Recruiting Performance Marketing Spezialisten gefragt. Die gab es vorher nur in den Marketing- Abteilungen. Das ist nur ein Beispiel wie sich die Spezialisierung im HR weiterentwickelt.
Die aktuellen Wachstumsprognosen für die deutsche Wirtschaft fallen sehr verhalten aus, Stapelkrisen und die weltpolitische Lage sorgen für Nervosität. Was bedeutet das für das Personalmanagement und Ihre Zielgruppen?
Alexander R. Petsch: Eine gewisse Nervosität kann ich persönlich nachempfinden. Auch mich verunsichert die Wahllage in den USA und die Kriegslage in der Ukraine und im Nahen Osten natürlich. Wenn man von diesen Ereignissen weg auf die wirtschaftliche Entwicklung schaut, bin ich für die HR-Branche ziemlich entspannt – wobei die Situation für einzelne Segmente wie die Staffing-Industrie herausfordernder ist als für andere.
Wenn ich mir die letzten 25, 30 Jahre, die ich in der HR-Branche unterwegs bin, anschaue, dann hatten wir immer mal wieder Wirtschaftskrisen. Die haben aber selten, um nicht zu sagen, nie zu weniger Arbeit in den HR-Abteilungen geführt.
Im Gegenteil: Jede konjunkturelle Veränderung erzeugt erst einmal Mehrarbeit. Und die mündet meistens in einer Produktivitätssteigerung, besonders getrieben durch Technologie. Ich kann nicht sagen, dass es den Technologieanbietern im HR-Bereich in den letzten 20 Jahren irgendwann einmal richtig schlecht gegangen ist. Deren Lösungen sind in der Regel so konzipiert, dass sie sowohl in einer Boomphase als auch in einer Rezessionsphase zu Produktivitätssteigerungen in der Personalabteilung führen.
Ich hätte jetzt gedacht, dass im konjunkturellen Tal in der Regel auch die Budgets in den Personalabteilungen kleiner sind, was den Zukauf von Lösungen oder auch Beratung angeht…
Alexander R. Petsch: Natürlich, in schwierigen Zeiten werden die Budgets überall knapp. Gleichzeitig leben wir aber auch in einer Zeit der Skill Shortage und der Transformationen, die strategische Investitionen unumgänglich machen. Ein Beispiel aus dem Ausland: Wir waren im vergangenen Jahr auf dem Pendant der STAFFINGpro in England, was sich ja politisch und wirtschaftlich aus Europa geschossen und konjunkturell auf einen Harakiri-Kurs begeben hat.
In der englischen Wirtschaft ächzt und kracht es an allen Ecken und Enden, gleichzeitig boomt die HR-Dienstleistungsbranche. Wie kann das sein?
Durch den hohen Arbeitskräftemangel müssen die Unternehmen einfach trotz Rezession in Produkte und Dienstleistungen in diesem Segment investieren. Ich glaube: Auch Unternehmen in Deutschland haben keine andere Wahl. Das Know-how und das Engagement der Mitarbeitenden bleibt für die Positionierung von Marken und Unternehmen das wichtigste Asset.
Das Interview führte Alexander Kolberg.
Die nächsten HR-Events des HRM Institute
5.-6. Juni 2024 | Arbeitssicherheit Schweiz | Zürich
11.-12. Juni 2024 | TALENTpro Expofestival | München
15. Oktober 2024 | STAFFINGpro | Wiesbaden
5. November 2024 | L&Dpro Expo | München
10. April 2025 | RETENTIONpro | Wiesbaden
Über die Person
Alexander R. Petsch ist Gründer und CEO (Chief Enabling Officer) des HRM Instituts, das mit HRM.de ca. 30.000 Personaler in der DACH-Region vernetzt, Expofestivals und Digital Events wie die „TALENTpro“, „L&Dpro“, „HR Tech Software & Innovation“ oder den „Salon RH“ veranstaltet. Das HRM Institute verlegt zudem das blog.TALENTpro – Magazin, den „personal manager – Österreichs Zeitschrift für Human Resources“ und betreibt mit HR-jobs.de eine Karriereplattform für Positionen im Human Resources.
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