Kolumne von Prof. Dr. Dirk Lippold Fünf „Talentpools“ in den USA – Beispiel für den deutschen Arbeitsmarkt

Auch in den Vereinigten Staaten haben Unternehmen mit dem Fachkräftemangel zu kämpfen. Das Beratungsunternehmen McKinsey hat in einer Studie über den US-Arbeitsmarkt fünf Segmente von Talenten identifiziert, die es zu aktivieren und motivieren gilt. Unser Kolumnist Prof. Lippold ist überzeugt, dass es deutliche Ähnlichkeiten zu Bewerberzielgruppen in Deutschland gibt.

In den letzten drei Jahren hat sich der Arbeitsmarkt – nicht zuletzt coronabedingt – grundlegend verändert. Er ist bestimmt durch eine Rekordzahl von Stellenangeboten im Fachkräftebereich. Das hat zu einem krassen Missverhältnis zwischen der Nachfrage nach Talenten und den tatsächlich verfügbaren Arbeitskräften geführt. So lautet jedenfalls das Ergebnis einer Untersuchung des US-amerikanischen Arbeitsmarktes (n= 6.294) durch das Beratungsunternehmen McKinsey.

Doch womit wollen die amerikanischen Unternehmen ihr Arbeitsplatzangebot decken? Die Forschung der amerikanischen Strategieberater identifizierte fünf Segmente beziehungsweise Cluster („Talentpools“), die zur Deckung des enormen Angebotsüberhangs in Frage kommen und entsprechend motiviert werden müssen:  

  • Traditionalisten („Traditionalists“)
  • Heimwerker („Do-it-yourselfers“)
  • Betreuer (Caregivers“)
  • Idealisten („Idealists“)
  • Relaxer („Relaxers“)

Bei dieser Aufteilung des Bewerbermarktes handelt es sich um eine Segmentierung, die in der Regel die erste Phase der Personalmarketing-Gleichung darstellt. Ergebnisse der Segmentierung sind intern homogene und extern heterogene Segmente, die hier als „Cluster“ bezeichnet werden. Als Segmentierungskriterien werden die verschiedenen Prioritäten der Bewerber in Bezug auf den Arbeitsplatz herangezogen. Die Kriterien sind in Bewerbungsinterviews leicht erfassbar und sinnvoll untereinander abgrenzbar.

Wohlgemerkt, es handelt sich bei der McKinsey-Studie um eine großangelegte Untersuchung des amerikanischen Arbeitsmarktes, deren Ergebnisse aber durchaus mit den deutschen Verhältnissen im Markt für Fachkräfte vergleichbar sein dürften. Daher sollten auch die deutschen Unternehmen beziehungsweise Recruiter einen Segmentierungsansatz verfolgen, der Aufschluss darüber gibt, was Arbeitskräfte dazu bewegt, zu kommen, zu bleiben, zu gehen und – vor allem – zurückzukehren.

Die Wechselwilligkeit der Mitarbeitenden in den USA ist hoch

Ein weiteres Forschungsergebnis besagt, dass die Kündigungs- beziehungsweise Wechselbereitschaft genauso extrem hoch ist wie in 2021. So geben 40 Prozent der befragten Mitarbeitenden an, dass sie ins Auge gefasst haben, ihr Unternehmen in den nächsten drei bis sechs Monaten "ziemlich wahrscheinlich" bis "so gut wie sicher" zu verlassen.

Unter den Top-Kündigungsgründen nimmt „mangelnde Laufbahnentwicklung und -förderung“ den ersten Platz ein. Aber auch Gründe wie „Mangel an sinnvoller Arbeit“ oder „Fehlende Unterstützung bei Gesundheit und Wohlbefinden“ werden deutlicher als früher artikuliert (siehe folgende Tabelle).

Aus diesen Motiven sind die Befragten am häufigsten bereit, einen Wechsel des Arbeitgebers in Betracht zu ziehen.

Die fünf von McKinsey herausgearbeiteten Talentpools unterscheiden sich darin, wie sie die Unterstützung der psychischen Gesundheit, sinnvolle Arbeit und den beruflichen Aufstieg bewerten. Diese Unterschiede zeigen, dass nicht eine einzelne Lösung genügend potenzielle Mitarbeiter anziehen wird, um alle offenen Stellen zu besetzen und/oder eine produktive Belegschaft zu halten. Stattdessen sollten Arbeitgeber – so die Strategieberater – einen mehrgleisigen Ansatz verfolgen, um unterschiedliche Talentpools zu erreichen.

Die Zielgruppen und ihre Bedürfnisse

Die fünf Cluster („Talentpools“) haben verschiedene Prioritäten in Bezug auf ihren Arbeitsplatz. Diese sind in Abbildung 2 dargestellt. Neben der Beschreibung der fünf Segmente sind auch entsprechende Lösungsmöglichkeiten zur Schließung der enormen Arbeitsplatzlücke auf dem US-amerikanischen Arbeitsmarkt aufgezeigt. Gleichzeitig wird aber auch deutlich, welche Ähnlichkeiten zu den potenziellen Bewerberzielgruppen auf dem deutschen Arbeitsmarkt bestehen.

Die den Clustern zugeordneten Mitarbeitenden haben unterschiedliche Prioritäten. Danach sollten sich Recruiting-Maßnahmen ausrichten.

Die entscheidende Maßnahme für den Recruiter ist nun, die Ergebnisse dieser Segmentierung im Vorgehensmodell der Personalmarketing-Gleichung festzuhalten und im nächsten Schritt mit dem Aktionsfeld Positionierung zu verknüpfen. Abbildung 4 zeigt diesen formalen Schritt anhand der Aktionsfelder der Wertschöpfungskette Personalbeschaffung im Rahmen der zweigeteilten Personalmarketing-Gleichung.

Quellen: 
McKinsey Top 10 articles of 2022: The Great Attrition is making hiring harder. Are you searching the right talent pools?
D. Lippold: Modernes Personalmanagement. Personalmarketing im digitalen Wandel, 4. Aufl., Berlin/Boston 2023.
Lippold: Personalmanagement und High Potentials. Top-Talente finden und binden, Berlin/Boston 2022.

 

Über die Person

Prof. Dr. Dirk Lippold ist Dozent an verschiedenen Hochschulen. Seine Lehrtätigkeit umfasst die Gebiete Unternehmensführung, Marketing & Kommunikation, Personal & Organisation, Technologie- und Innovationsmanagement sowie Consulting & Change Management. Zuvor war er viele Jahre in der Software- und Beratungsbranche tätig – zuletzt als Geschäftsführer einer großen internationalen Unternehmensberatung. Auf seinem Blog www.dialog-lippold.de schreibt er über aktuelle betriebswirtschaftliche Themen.

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