Kolumne Lutz Altmann und Stefan Schulz Wie HR selbst den Recruiting-Erfolg sabotiert

Eine fatale Entwicklung, die den Recruiting-Erfolg massiv gefährdet. Höchste Zeit daher, die eigenen Recruiting-Prozesse selbstkritisch zu hinterfragen. Denn eine gute Candidate- und Employee-Experience bildet den Schlüssel zum Erfolg bei der Mitarbeitergewinnung und -bindung.
Mangelhafte Anforderungsprofile sind der Anfang allen Übels
Unter dem Deckmantel des technologischen Fortschritts werden nicht gemachte Hausaufgaben von HR gerade zur Bremse in der Besetzung von Positionen.
Der typische Recruiting-Prozess beginnt nämlich oft immer noch mit oberflächlich formulierten und standardisierten Stellen- und Anforderungsprofilen aus der unternehmerischen Mottenkiste auf Basis von allgemein formulierten Job-Descriptions.
Diese münden dann in austauschbaren Stellenanzeigen: „Teamplayer gesucht", „mindestens X Jahre Berufserfahrung“, „eine vergleichbare Qualifikation“ oder „sehr gute MS-Office-Kenntnisse" – solche Plattitüden finden sich in nahezu jeder Stellenausschreibung.
Doch was sagen sie über die Position und das Unternehmen aus? Genau – wenig!
Das geht definitiv besser.
Plattitüden | ersetzen durch… |
---|---|
„Teamplayer gesucht!“
| „Sie moderieren gekonnt Projektmeetings, sorgen für Meinungsvielfalt und stimmen sich gerne engmaschig mit Kollegen ab.“ |
„Sie verfügen über X Jahre Berufserfahrung.” | „Sie haben bereits eigenverantwortlich drei vergleichbare Projekte zum Erfolg geführt." |
„vergleichbare Qualifikationen“ | „Sie kennen sich mit den aktuellen Compliance-Vorgaben im Personalwesen aus und stellen die rechtskonforme Umsetzung von Arbeitszeitmodellen und Vergütungssystemen sicher.“ |
„sehr gute MS-Office-Kenntnisse“ | „Sie erstellen und pflegen komplexe Excel-Vorlagen für die Personalkostenplanung und automatisieren wiederkehrende Prozesse wie das Reporting von Krankheitsquoten und Überstunden.“ |
Zu dieser Problematik gesellt sich dann der unreflektierte Einsatz neuer Technologien:
Automatisierte Bewerbermanagementsysteme, KI-gestützte Vorauswahlprozesse und standardisierte E-Mail-Kommunikation sollen den Recruiting-Prozess effizienter gestalten.
Doch das Gegenteil ist häufig der Fall: Sinnvolle Technologien werden zu regelrechten „Mitarbeiter- und Bewerbervermeidungsinstrumenten“.
Wer also schon beim Anforderungsprofil schludert, braucht sich nicht darüber zu wundern, wenn die KI die vermeintlich „besten“ Kandidaten aus dem aktuellen Bewerberpool, aber nicht die für die Position „geeigneten“ Personen ausspuckt.”
Wenn die tatsächlichen Anforderungen der Position und die Auswahlkriterien der KI in keinem sinnvollen Verhältnis stehen, haben Unternehmen tatsächlich ein Problem:
- Entweder fallen geeignete Kandidaten durch den Fokus auf „die Besten“ durchs Raster.
- Es werden Kandidaten identifiziert, die zwar fachlich, aber persönlich nicht geeignet sind (Cultural Fit).
- Man konzentriert sich auf überqualifizierte Bewerber, die die Stelle gar nicht erst antreten oder aber schnell wieder verlassen.
Ein präzises Anforderungsprofil ist die Grundlage für eine erfolgreiche Eignungsdiagnostik. Trotz dieser längst verbreiteten Erkenntnis wird die qualifizierte Erstellung entsprechender Profile jedoch immer noch weitgehend stiefmütterlich behandelt – wahlweise ersetzt durch Buzzword-Bingo oder das „eierlegende Wollmilchsau“-Schema.
Zu lange Bewerbungsprozesse trotz Standardisierung und Technologien
Interessanterweise führt der Einsatz neuer Technologie offenbar nicht wie geplant zu einem schnelleren Bewerbungsprozess. Demnach vergehen oft mehr als 14 Tage bis zur Rückmeldung zu einer Bewerbung. Bewerber bemängeln wiederum lange Wartezeiten und oftmals intransparente Auswahlschritte und -kriterien. Laut mehrerer aktuellen Studien brechen daher gut 40% der Bewerber ihre Bewerbung ab, da Unternehmen zu langsam reagieren.
Gerade in Zeiten, in denen fachlich qualifizierte Bewerbende sich unter mehreren Angeboten entscheiden können, werden die „lahmen, nicht entscheidungsfähigen Enten” unter den Arbeitgebern abgehängt werden.
Und dann gibt es da immer noch Unternehmen, die auf Bewerbungen nach Monaten oder gar nicht erst reagieren, und das trotz zunehmend flächendeckend automatisierter Prozesse. Ein echtes No-Go für jeden Arbeitgeber, gänzlich unabhängig vom Fachkräftemangel!
Das Herz des Recruitings: der persönliche Kontakt zum Bewerber
Die Zeit, die mit dem Einsatz von Technologien in der Stellenausschreibungs- und Bewerberadministration eingespart werden kann, sollte konsequenterweise in eine rasche persönliche und qualitativ hochwertige Beziehungsarbeit mit potenziell interessanten Bewerbern investiert werden. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass Talent Acquisition bereits direkt nach Bewerbungseingang fachlich und „unternehmensspezifisch” (Stichwort: Cultural Fit) passende Kandidaten konsequent identifiziert und dann umgehend aktiv wird.
Allgemein fühlen sich Bewerber durch den Einsatz von KI nicht unbedingt persönlich angesprochen und wahrgenommen und verlieren das Interesse an einem Arbeitgeber.
„Das Empfinden und Wahrnehmen von künstlicher Intelligenz im Bewerbungsprozess ist zu 65,2 % negativ – und reicht von unpersönlich bis Angst so das Ergebnis einer aktuellen Studie der IU Internationalen Hochschule.
Es scheint folglich entscheidend zu sein, die Künstliche Intelligenz selbst auch wirklich intelligent einzusetzen.
Zudem gehen einem ersten persönlichen Kontakt nicht selten das Durchlaufen intransparenter Bewerbungsschritte, das Ausfüllen komplizierter oder fehlerhafter Felder in ATS-Systemen, die Einreichung von individuellen Bewerbungsdokumenten und -formaten, das Absolvieren eines Tests, einer Probeaufgabe und/oder gar eines ganzen Assessment Centers u. Ä. voraus.
Das Absolvieren mehrtägiger Auswahlverfahren erfreute sich schon in der Vergangenheit keiner großen Beliebtheit und hat durch die Transformation in digitale Versionen nicht an Attraktivität gewonnen. Wobei das kein Plädoyer gegen qualifizierte Auswahlverfahren sein soll, sondern vielmehr die Empfehlung, die richtige Balance zwischen Bewerbungshürden und persönlichen Touchpoints für Unternehmen und Bewerber zu finden.
Das Investment seitens der Bewerber ist jedenfalls meist von Anfang an größer und führt nicht gerade dazu, Augenhöhe und Verbindlichkeit herzustellen. Faktoren, die die Arbeitgeberattraktivität und damit die Wahrscheinlichkeit einer Entscheidung zugunsten eines Arbeitgebers deutlich erhöhen würden.
Optimierungsansätze für alle Beteiligten
Und jetzt die gute Nachricht: Sämtliche Beteiligte im Recruiting-Prozess können dazu beitragen, die gegenwärtigen Hemmnisse zu überwinden und ihr Recruiting – idealerweise unterstützt durch Standardisierung und Automatisierung – auf ein neues Level zu bringen.
Für Recruiter:
Entwickeln Sie individuelle, präzise Stellen- und Anforderungsprofile in enger Abstimmung mit den Fachabteilungen und der aktuellen Arbeitsmarktsituation, die die tatsächlich relevanten Kompetenzen und Eigenschaften und nicht idealisierte Maximalvorstellungen abbilden.
- Berücksichtigen Sie dabei essenzielle Soft Skills und die Entwicklung der Aufgaben in Zukunft im Rahmen des Wandels.
- Argumentieren Sie mit Zahlen und Fakten aus dem Markt und erwägen Sie alternative Besetzungsformate (Interim, Fractional, Teilzeit, Job Pairing) zur Vermeidung hoher Vakanzkosten.
- Setzen Sie auf Personaldienstleister, die Ihr Business und den Markt kennen sowie zeitnah und bedarfsorientiert verschiedene Lösungsansätze in Ihrem Sinne erarbeiten können. Pflegen Sie einen regelmäßigen Austausch.
- Etablieren Sie persönliche Gespräche als festen Bestandteil des frühen Recruiting-Prozesses.
- Setzen Sie Technologie unterstützend, nicht ersetzend, ein. Wo Sie Zeit in der Administration sparen, können Sie diese in den persönlichen Kontakt mit dem Bewerber investieren.
- Pflegen Sie frühzeitig und aktiv den Kontakt zu interessanten Kandidaten, selbst wenn aktuell keine passende Position verfügbar ist (Stichworte: Active Sourcing/Talentpool/Networking).
Für Hiring Manager:
Überlegen Sie, was in den ersten Monaten wirklich wichtig ist. Nehmen Sie sich Zeit für die Definition der relevanten Anforderungen und berücksichtigen Sie, dass diese sich im Laufe der Zeit ändern werden. Was muss/soll der Kandidat in drei, sechs, neun und zwölf Monaten nach Einstellung umsetzen? Konzentrieren Sie sich dabei auf die Dinge, die Ihr Kandidat in den ersten zwölf Monaten beherrschen muss. Menschen sind lernfähig – was sie heute nicht können, können sie mit hoher Wahrscheinlichkeit lernen. Achten Sie daher eher auf Entwicklungsschritte und Flexibilität innerhalb einer Position statt bloßen Fokus auf Fähigkeiten und Kompetenzen. Dies wird den Einstellungsprozess verbessern, da man von der „eierlegenden Wollmilchsau” als Zielobjekt deutlich abrücken kann.
- Haben Sie die Skills und Persönlichkeitsprofile Ihres Teams stets im Blick und richten Sie Ihren Fokus auf ergänzende Eigenschaften und Kompetenzen.
- Achten Sie auf ein kontinuierliches, niedrigschwelliges und vor allem anforderungsadäquates Weiterbildungsangebot für sämtliche Mitarbeiter im Team.
- Beteiligen Sie sich aktiv am Recruiting-Prozess, insbesondere bei der Kandidatenansprache. Nutzen Sie Ihr eigenes berufliches Netzwerk für die Kandidatengewinnung.
- Bleiben Sie auch nach der Einstellung als Ansprechpartner präsent.
Für die Geschäftsführung:
- Schaffen Sie die notwendigen Ressourcen in Ihrem Unternehmen, aka ausreichend Budget und eine adäquate personelle Aufstellung im Bereich HR.
- Setzen Sie auf die Entwicklung einer authentischen Arbeitgebermarke.
- Fördern Sie eine Unternehmens- und Kommunikationskultur, die persönliche Beziehungen wertschätzt.
- Messen Sie den Recruiting-Erfolg nicht ausschließlich an Prozessgeschwindigkeit und Kosteneffizienz, sondern an Qualität und Nachhaltigkeit der Stellenbesetzungen, Zufriedenheit der Kandidaten mit dem Bewerbungsprozess, der langfristigen Mitarbeiterbindung und dem Aufbau eines nachhaltigen Talent-Pools.
Technologie sinnvoll nutzen
Der Einsatz moderner Recruiting-Tools ist natürlich wichtig, sollte aber dennoch gezielt erfolgen. Es gilt also, nicht jede neue Sau durchs Dorf zu jagen, sondern nur die Technologien zu nutzen, die Sinn machen und den Raum schaffen für eine persönliche Kommunikation mit Bewerbern (und Mitarbeitern).
Dazu gehören zum einen die Automatisierung administrativer Aufgaben zur Bewerberverwaltung. Die KI-gestützte Vorauswahl sollte eine, aber nicht die einzige Filtermöglichkeit sein. Digitale Kommunikationskanäle können stets als Ergänzung – jedoch nicht als Ersatz – persönlicher Interaktion gelten.
Eine strukturierte Datenanalyse zur Optimierung der Recruiting-Prozesse ist zudem unumgänglich für eine zeitgemäß aufgestellte HR-Abteilung.
Fazit: Menschen gewinnen Menschen
Recruiting ist schlichtweg People-Business. Dies schlägt sich auch in neuen Titeln nieder – an Stelle des „Human-Resources“-Managers tritt nun schon seit geraumer Zeit gerne der „People-and-Culture“-Manager.
Menschen sind loyal gegenüber Menschen – gegenüber Kollegen, auf die man sich verlassen kann, gegenüber Mentoren und Vorgesetzten, die das individuelle Potenzial erkennen und fördern, die als Vorbild fungieren und von denen man lernen kann. Und Menschen verlassen Unternehmen auch mal wegen Menschen – aufgrund schlechter Führung, Ignoranz oder mangelnder Wertschätzung individueller Leistungen.
Über die Personen
Lutz Altmann ist Geschäftsführer bei Karriereweg. Er verfügtber 20 Jahre Erfahrung in der Personalberatung inklusive sieben Jahre als Interim Recruitment Manager. Mit dem Fokus auf strategische und nachhaltige Vermittlung von Fach- und Führungskräften – ob Fractional, Interim oder Permanent – unterstützt Karriereweg Unternehmen dabei, die Herausforderungen des modernen Arbeitsmarkts durch klare, wirtschaftlich fundierte Lösungen zu meistern.
Stefan Schulz ist Geschäftsführer bei Karriereweg. Er verfügt über 20 Jahre Erfahrung im Management inklusive neun Jahre Erfahrung in der Personalberatung. Mit dem Fokus auf strategische und nachhaltige Vermittlung von Fach- und Führungskräften – ob Fractional, Interim oder Permanent – unterstützt Karriereweg Unternehmen dabei, die Herausforderungen des modernen Arbeitsmarkts durch klare, wirtschaftlich fundierte Lösungen zu meistern.
Kommentare:
Lesen Sie mehr zum Thema:

verwandte Artikel werden geladen...
Noch keine Kommentare zu diesem Artikel. Machen Sie gerne den Anfang!