Fachkräftemangel Personalexperte fordert von den Parteien mehr als Sonntagsreden

Viel Konkretes hätten die Politiker aber nicht im Angebot, moniert der Kölner Personalexperte Reiner Huthmacher. Es bleibe leider bei Allgemeinplätzen. Dabei werde sich das Problem weder allein über die Zuwanderung ausländischer Fachkräfte lösen lassen noch über Appelle an die Arbeitgeber, bessere Arbeitsbedingungen zu ermöglichen. „Die Unternehmen sind bereits am Anschlag und können nicht auch noch für Wahlgeschenke herhalten. Der Staat selbst hat hingegen einige Hebel in der Hand, um etwas gegen den Fachkräftemangel zu tun“, so Reiner Huthmacher.
Ungerecht: Nur Wissende profitieren
Richtig sei, so Huthmacher, dass den Arbeitnehmern mehr Netto vom Brutto übrigbleiben müsse. Eine reine Nettolohnoptimierung, wie sie von vielen Beratern empfohlen und vom Staat goutiert werde, sei aber der falsche Weg.
Wer allein durch Gutscheine, Incentives und andere Sachbezüge den Nettolohn optimiert, macht einen strategischen Fehler“,
erklärt der Experte.
Denn dadurch würden auch die Sozialabgaben reduziert. Das sei kurzfristig ein kleiner Gewinn auf dem Lohnzettel, langfristig ergäben sich dadurch aber geringere Renten und reduzierte Sozialleistungen. „Die klassische Nettolohnoptimierung ist ein Rezept aus der Vergangenheit, das weder einer alternden Gesellschaft Rechnung trägt noch den wahren Bedürfnissen der Beschäftigten und Unternehmen entspricht“, macht der Experte deutlich.
Ohnehin seien diese steuerlichen Schlupflöcher höchst ungerecht.
„Davon profitieren nur Wissende, Unternehmen mit findigen Steuer- und großen HR-Abteilungen. Und die Kosten dieser Optimierung sind immens. Würden diese Gelder gleich an die Beschäftigten fließen, hätten alle mehr davon.“
Mehr als Trinkgelder nötig
Gleichwohl könne es sinnvoll sein, die Sachbezugsfreigrenzen pauschal nach oben anzupassen, um so den Unternehmen und Beschäftigten, die dieses Mittel nutzen möchten, den Zugang zu erleichtern und einen echten Mehrwert zu schaffen. „Freibeträge und Pauschalen etwa für Werbungskosten müssen steigen. Ebenso muss die Anrechenbarkeit für Kosten durch berufsbedingte Abwesenheiten, die sogenannte Auslöse, verbessert werden.
"Und wenn ein Unternehmen seine Mitarbeiter zusätzlich besser krankenversichert, Zuschüsse zur Altersvorsorge leistet oder andere soziale Benefits anbietet, muss sich dies auch tatsächlich mehr als bisher für beide Seiten lohnen“, so Huthmacher. Es müssten mehr als Trinkgelder bei den Arbeitnehmern ankommen. Hier müsse die neue Regierung handeln – durch einfache und transparente Lösungen, nicht durch aufwendige Winkelzüge. Vereinfachung und Standardisierung müsse das Gebot werden, damit auch kleine Unternehmen profitieren könnten.
„Die jetzigen Möglichkeiten sind kompliziert und ungerecht“,
so Huthmacher, der Unternehmen in Sachen Mitarbeiterbindung berät.
Inflation intelligent ausgleichen
So mancher Gutschein ergebe zudem aus taktischen Gründen keinen Sinn mehr. „Wer vor zehn Jahren seinem Mitarbeiter einen monatlichen Tankgutschein in Höhe von 50 Euro spendiert hat, konnte noch mit Dank und Anerkennung rechnen. Heute ist das nicht mal mehr ein halber Tank voll“, rechnet Huthmacher vor.
Der gewünschte Effekt, beim Tanken als Arbeitgeber positiv im Gedächtnis der Mitarbeiter zu sein, bleibe aus, wenn er sich nicht gar ins Gegenteil verkehre. „Man muss heute seine Attraktivität als Arbeitgeber viel intelligenter angehen als früher. Die Inflation frisst viele Vorteile schlicht auf. Und einfache, schnelle rein monetäre Benefits verlieren eh an Bedeutung.“
Hinzu komme die Frage, ob ein Tankgutschein unter Umweltgesichtspunkten noch sinnvoll sei. „Hier werden teils widerstreitende Interessen staatlich subventioniert und gesellschaftliche Anstrengungen konterkariert“, erklärt Huthmacher. Was dem einen sein Tankgutschein, sei dem anderen sein Job-Rad. Wer etwas für seine Mitarbeiter tun möchte, sollte ganzheitlich auf das Thema schauen. Pauschale Einzelmaßnahmen nach dem Motto eine Lösung für alle verfingen nicht mehr.
Politik muss handeln
„Es reicht nicht zu appellieren“, erklärt der Fachkräfteprofi mit Blick auf die Politik. Er ruft die Parteien auf, jetzt nach der Bundestagswahl aktiv zu werden und zu handeln – über die Erhöhung von Freigrenzen und steuerliche Anreize hinaus. Die bisherigen Ansätze reichten nicht. „Am Ende wird sich das auch für den Staat rechnen, weil mehr Motivation und Mehrarbeit auch zu mehr Steuereinnahmen und höherer Produktivität führen. Wachstum wird letztlich nur von den Beschäftigten erreicht.“
In Arbeitgeberattraktivität statt in Fluktuation investieren
Reiner Huthmacher plädiert für Mitarbeiterbindungs- und Mehrwertprogramme zur Steigerung der Arbeitgeberattraktivität. „Hier ist tatsächlich an vielen Stellen mehr Respekt möglich. Dieser muss sich jedoch auch im Portemonnaie derjenigen ausdrücken, die Leistung bringen.“ Dieser Gedanke sollte die Politik leiten. Neben steuerlichen Stellschrauben müsse es zudem darum gehen, bürokratische Hürden etwa im Arbeitsrecht oder bei der Beantragung von Zuschüssen abzubauen.
Fachkräftemangel ist ein Querschnittsthema der Politik und muss sich durch nahezu alle Ministerien und Behörden ziehen.
Alle politischen Fragen sollten unter dem Aspekt betrachtet werden: Schafft der Ansatz Möglichkeiten zur Steigerung der Arbeitgeberattraktivität? Nutzt das den Unternehmen und den Beschäftigten? Fördert es deren Motivation? Die Politik ist schließlich für einen Großteil der Unzufriedenheit und Demotivation verantwortlich. Das muss sie heilen, egal, wer nach den Bundestagswahlen regiert“, so Huthmacher.
Unternehmen und Politik müssen Hand in Hand arbeiten
Unternehmen rät Huthmacher, sich Gedanken über wirklich nachhaltige Konzepte zu machen. Die reine Nettolohnoptimierung oder die einfachen Lösungen wie Obstteller und Tischtennisplatten seien längst kein Unterscheidungsmerkmal mehr. Vielmehr gehe es um individuelle Lösungen für die Beschäftigten wie flexible Arbeitszeiten, Work-Life-Balance und betriebliche Versorgungswerke, vor allem aber auch um eine verständliche Kommunikation dieser Angebote sowohl in die Belegschaften hinein als auch am Bewerbermarkt.
Zudem seien Fragen der Führung und der Nachhaltigkeit relevant. „Das macht echte Arbeitgeberattraktivität aus.“ Und in Arbeitgeberattraktivität zu investieren, sei allemal besser als die Kosten einer ständigen Fluktuation zu schultern. „Jeder Mitarbeiter, der geht, weil er unzufrieden ist, nimmt Know-how und Kundenbeziehungen mit. Eine Neubesetzung kostet Zigtausende. Es gibt keine effektiveren Maßnahmen als die, die eigenen Mitarbeiter zu begeistern und zu binden“, so Huthmacher abschließend.
Unternehmen und Politik müssten Hand in Hand arbeiten, um dies besser zu gewährleisten. Dann gelänge auch das, was in den politischen Sonntagsreden mit den Begriffen „Respekt“ und „Wertschätzung“ gemeint sei – nämlich eine echte und starke Wertschöpfungsgemeinschaft.
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