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Silke Rusch, Dozentin "Mir war der Fokus auf Strukturen zu groß und der Fokus auf die Psyche der Frauen zu klein"

In ihrem Buch "Women at Work" beleuchtet Silke Rusch die psychische Belastung von Frauen im Beruf und bietet Lösungsansätze. Das Buch hilft Frauen, ihre Work-Life-Balance zu verbessern und ihre berufliche Laufbahn voranzutreiben, indem es sie dazu ermutigt, die eigenen inneren Prozesse zu reflektieren und gezielt zu handeln.

(Bild: Rossi Photography)

Frau Rusch, im März erscheint ihr Buch: „Women at work - Wie Frauen limitierende Glaubenssätze abbauen und ihr berufliches Potenzial entfalten.“ Was hat sie dazu motiviert dieses Buch zu schreiben?

Silke Rusch: Wenn wir über Frauen im Job sprechen, dann geht es oft nur um Female Leadership oder darum, dass wir mehr KiTa-Plätze brauchen – das hat mich als Psychologin irgendwann sehr genervt. Die Daten zeigen uns, dass es vielen Frauen mental gerade alles andere als gut geht, die Krankschreibungen wegen psychischen Beschwerden liegen mittlerweile bei Frauen auf Rang 2 aller Diagnosen. 

Das heißt, es ist doch nicht einfach nur wichtig, dass nun alle Frauen in Führungspositionen aufrücken, sondern dass sie gesund arbeiten und führen können. 

Kurz gesagt: Mir war der Fokus auf Strukturen zu groß und der Fokus auf die Psyche der Frauen zu klein. Die Veränderung ungerechter Strukturen sind absolut wichtig, sie sind aber nicht der einzige Hebel, den es braucht. Wir tragen oft seit Kindertagen Glaubenssätze in uns, mit denen wir uns in der Berufstätigkeit selbst sabotieren. Ich wollte dieses Wissen und vor allem Lösungsmöglichkeiten unbedingt allen Frauen (aber auch Verbündeten, Partnern und Führungskräften) zur Verfügung stellen. Dieses Wissen braucht man, damit man eben nicht krank wird.

Inwieweit hilft Ihr Buch Frauen ihre berufliche Laufbahn voranzutreiben?

Silke Rusch: "Women at Work" ist für alle Frauen, die sich fragen: "Warum bin ich mit meinen Aufgaben so überfordert, warum stagniert meine Karriere, warum fühle ich mich so unsicher oder unzufrieden?". Das Problem ist, dass wir häufig auf dieser Gefühlsebene hängenbleiben und daraus Konsequenzen ableiten. Wir reduzieren unsere Stelle, wir kündigen, wir resignieren oder wir versuchen noch mehr zu leisten. 

Das Buch hilft, die Ursachen für mentale Probleme genau zu beleuchten und zu verstehen, welche unterschwelligen Gedanken da in uns wirken. 

Denn meine Erfahrung aus der Therapie und der Coachingpraxis ist, dass das Verstehen der eigenen inneren Prozesse bereits die halbe Miete ist, um zu neuen Lösungen zu kommen. Natürlich habe ich aber auch viele Reflexionen und konkrete Impulse beschrieben, die von den Lesenden direkt ausprobiert werden können. 

Sie sind selbst nicht nur Führungskraft, sondern auch Mutter von vier Kindern. Wie gelingt Ihnen der Spagat zwischen Beruflichem und Familie?

Silke Rusch: 

Diese Frage wird mir super oft gestellt, und ich verstehe sie auch. Dennoch frage ich mich, ob Sie die auch einem vierfachen Vater und Manager stellen würden (?). Dahinter steckt ja schon der 1. Glaubenssatz, nämlich der, dass "die Mutter allein die Vereinbarkeit zu leisten hat" (und somit sehr belastet sein muss). 

Der Spagat gelingt in meinem Fall deshalb, weil ich einen Partner habe, der seine Karriere nie wichtiger genommen hat als meine. Weil ich mir guten Gewissens Auszeiten nehme (so wie er), weil ich meinen Kindern sehr viel zutraue und weil ich einen Arbeitgeber habe, der mir sehr flexible Arbeitsmöglichkeiten bietet. Somit bin ich in einigen Punkten sehr privilegiert und kann auf Ressourcen zurückgreifen, die nicht alle Eltern(-teile) haben. 

Ich habe aber auch viel innere Arbeit gemacht – die Arbeit, die ich in meinem Buch jeder Frau anrate, um Optionen, die sich rein formal bieten, auch nutzen zu können.

Haben Sie konkrete Tipps? Wie kann Frau ihre Work-Life-Balance verbessern?

Silke Rusch: Der 1. Tipp (und das ist ernst gemeint): "Augen auf bei der Partnerwahl"! Wenn Partner sehr tradierte Rollenvorstellungen im Kopf haben, werden sie die kaum ablegen, sobald es zu Kindern oder Pflegesituationen kommt. Das gilt es unbedingt vorher zu klären. 

2. Reflektieren Sie immer mal wieder über die Frage: "Wie möchte ich leben und arbeiten?" Seien Sie dabei sehr klar und sehr ehrlich. Viele von uns stellen sie sich nicht, sie "machen einfach", vielleicht, weil es die Eltern schon so gemacht haben und es die Norm in ihrem Freundeskreis ist. 

Die Antwort auf diese Frage darf sich im Verlauf der Karriere auch immer wieder ändern – Work-Life-Balance ist ein immerwährender Prozess, nichts Statisches! 

Eine Beförderung, eine Krankheit oder die Geburt eines Kindes bringen natürlich die alte Ordnung durcheinander. 

3. Was ich auch wichtig finde: Kurze Phasen der Imbalance sind OK! Das bedeutet nicht, dass alles den Bach runtergeht. Ein gesundes System schafft es gemeinhin, sie wieder auszugleichen. Klar im Vorteil ist, wer sich sehr genau anschaut, was ihn stresst. Je exakter wir identifizieren, was es ist (zu Beispiel der Workload, das Zähneputzen mit den Kindern, die Wäscheberge, die Kritik der Kollegin), desto gezielter können wir Lösungsstrategien entwickeln. Die Wahrnehmung "Ich bin völlig gerädert" ist leider zu diffus, um gegenzusteuern. 

Frauen werden noch immer durch die Gesellschaft gebremst. Wie können sich Frauen dagegen „wehren“?

Silke Rusch: Wir sollten zunächst nie vergessen: "Die Gesellschaft", das sind wir alle! 

Man kann sich als Frau immer fragen, ob man den Meinungen anderer so viel Macht geben möchte. Sich stereotypen Vorstellungen hinzugeben ist immer auch eine aktive Entscheidung, auch, wenn es sich nicht so anfühlt. 

Mein Sohn ging zum Beispiel mal mit Glitzerhausschuhen in den Kindergarten, weil er sie so liebte – das war gesellschaftlich rein gar nicht so vorgesehen. Wir als Eltern haben aber die Entscheidung getroffen, dass wir diese "Regel" nicht mitgehen. 

Wehren können sich immer am ehesten die, die Privilegien besitzen: Zeit, Sichtbarkeit und Einfluss. Sie sollten für all die anderen wehrhaft sein, die diese Privilegien nicht haben. 

Eigene wehrhafte Handlungen können zum Beispiel darin bestehen, bestimmte Parteien (nicht) zu wählen, Petitionen zu unterstützen, Antidiskriminierungsstellen oder Betriebsräte einzubinden, Mikroaggressionen anzusprechen oder zu eskalieren. Solche Entscheidungen haben immer einen Preis, Nicht-Entscheidungen aber auch!

 

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