Mental Health Mentale Gesundheit im Mittelstand: HR muss jetzt aktiv werden

Rund 323 Arbeitsunfähigkeitstage je 100 Versicherte gingen laut DAK 2024 hierzulande auf psychische Erkrankungen zurück – fast dreimal mehr als noch zur Jahrtausendwende. Die mentale Belastung wächst auch im Mittelstand, wie eine aktuelle Studie im Auftrag der ias-Stiftung zeigt: Jede zweite der 303 befragten Führungskräfte mittelständischer Unternehmen stellt in den letzten Jahren einen entsprechenden Anstieg in ihrer Belegschaft fest. Im Arbeitsalltag macht sich dies den Befragten zufolge in Form von Unzufriedenheit, Konflikten, Fluktuation und sinkender Produktivität bemerkbar – Faktoren, die die Wirtschaftlichkeit entscheidend beeinflussen.
Beispiel Fluktuation: Kündigt ein Mitarbeitender, verliert ein Unternehmen nicht nur wertvolles Know-how. Durch Produktivitätseinbußen während der Vakanz, Zeitaufwand für Nachbesetzung und Onboarding kostet jeder Weggang den Arbeitgeber bis zu 150 % des betreffenden Bruttojahresgehalts. Gerade bei kleineren Unternehmen mit ohnehin dünner Personaldecke zieht sich die Nachbesetzung oft in die Länge: Im Fachkräftereport 2024/2025 der Deutschen Industrie- und Handelskammer berichten 43 Prozent der Betriebe von Problemen bei der Besetzung offener Stellen.
Gesundheitsförderung stärkt Mitarbeiterbindung
Mit systematischer Gesundheitsförderung können Arbeitgeber gegensteuern. So zeigt der Fehlzeiten-Report 2024 des Wissenschaftlichen Instituts der AOK: Unternehmen, die mentale Gesundheit gezielt unterstützen, profitieren von sinkenden Fehlzeiten und starker Mitarbeiterbindung. Ein ernst gemeintes, transparent kommuniziertes Engagement für psychisches Wohlbefinden zahlt somit direkt auf Arbeitgeberattraktivität und Retention Management ein. Der ias-Studie zufolge setzt jedoch bislang nur jedes dritte mittelständische Unternehmen entsprechende Maßnahmen um. Dabei lässt sich bereits mit geringem Ressourceneinsatz große Wirkung erzielen.
1. Führungskräfte ins Boot holen
Damit eine unternehmensweite Gesundheitsförderung erfolgreich ist, muss das Thema auf Managementebene ernst genommen werden. HR kann dies unterstützen, indem sie Führungskräfte für die Relevanz mentaler Gesundheit sensibilisiert – etwa durch Trainings in empathischer Kommunikation, Stressprävention oder Burnout-Erkennung. Auch über ihre Vorbildfunktion können Vorgesetzte viel bewirken: Wer vorlebt, dass Pausen erwünscht sind, und seine berufliche Erreichbarkeit auf feste Zeitfenster begrenzt, schützt nicht nur sich selbst, sondern auch sein Team vor Überlastung.
Ebenso hat Führung selbst großen Einfluss auf die mentale Gesundheit derer, denen sie zuteilwird. Um Beschäftigten zu signalisieren, dass sie gesehen und wertgeschätzt werden, sollten Führungskräfte Lob und Anerkennung auch als solche kommunizieren. Dies stärkt das Selbstwertgefühl der Mitarbeitenden, motiviert sie und fördert ihre Verbundenheit mit dem Arbeitgeber.
2. Offene Gesprächskultur fördern
Eine offene Gesprächskultur trägt dazu bei, psychische Belastungen frühzeitig zu erkennen und Mitarbeitende im Umgang damit zu unterstützen. Mitarbeitergespräche und Mentoring-Programme bieten einen geschützten Rahmen, um Sorgen und Bedenken anzusprechen. Die Ausbildung kollegialer Vertrauenspersonen schafft eine weitere Möglichkeit für Betroffene, sich anzuvertrauen.
Eine transparente Kommunikationskultur auf Augenhöhe und regelmäßiges Feedback fördern zudem das Wir-Gefühl. Dies wirkt wie ein Schutzschild gegen Stress:
Wer sich im Arbeitsumfeld eingebunden und unterstützt fühlt, geht entspannter mit Belastungen um, bleibt motivierter und kommt lieber zur Arbeit.
Der soziale Rückhalt im Kollegenkreis fördert Sicherheit und Zugehörigkeit – zentrale Faktoren für die psychische Stabilität.
3. Flexibilität ermöglichen
Autonomie beugt psychischer Überlastung vor, indem sie Selbstwirksamkeit unterstützt. Wer eigenverantwortlich Projekte leitet, an Entscheidungen beteiligt wird und selbst über seine Arbeitsmodalitäten bestimmen darf, ist motivierter und zufriedener. Vor diesem Hintergrund sollten Arbeitgeber flexible Arbeitszeiten, Homeoffice und Vertrauensarbeitszeit ermöglichen, sofern die Umstände es zulassen. Dies erleichtert es Beschäftigten, ihre Arbeitsbedingungen auf die Erfordernisse ihrer Lebensrealität abzustimmen – und zum Beispiel die Vereinbarkeit von Beruf und Familie besser zu gewährleisten.
4. Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) ganzheitlich denken
Klassische BGM-Maßnahmen wie Sport- und Bewegungsangebote erreichen vor allem ohnehin schon gesundheitsbewusste Mitarbeitende. Um wirklich alle mitzunehmen, sollte das BGM ganzheitlich gedacht und um Aspekte wie psychische Gesundheit und Ernährung erweitert werden. Letztere wird oft übersehen, dabei steigert gesunde Ernährung das Wohlbefinden, wie etwa eine Befragung von Foodji zeigt: Neun von zehn Beschäftigten fühlen sich demnach fitter, gesünder, leistungsfähiger und motivierter, wenn sie am Arbeitsplatz gesund versorgt sind. Jeder Zweite kommt angesichts eines Verpflegungsangebots sogar lieber ins Büro. Somit unterstützen entsprechende Maßnahmen nicht nur die körperliche Fitness, sondern auch das soziale Miteinander und wirken damit unmittelbar auf das psychische Wohlbefinden der Belegschaft.
Zugleich signalisiert der Arbeitgeber durch ein gesundes Essensangebot Wertschätzung, die er durch einen steuerfreien Essenszuschuss noch unterstreichen kann. Eine gesunde Mitarbeiterverpflegung sollte daher aus mehrfacher Hinsicht ein fester Bestandteil der betrieblichen Gesundheitsförderung und Standard an jedem Arbeitsplatz sein.
Ergänzend dazu adressieren Maßnahmen wie Resilienztrainings oder Angebote zu Stressbewältigung, Achtsamkeit und Selbstmanagement die psychische Gesundheit ganz direkt. In Zusammenarbeit mit Krankenkassen können Arbeitgeber Zuschüsse beziehen und spezifische Kurse oder Gesundheitstage umsetzen. Die BGF-Koordinierungsstelle der Krankenkassen bietet eine erste, kostenlose Anlaufstelle für weitere Informationen.
Über die Person
Thorsten Schaar ist VP Sales des Münchner Food-Tech-Unternehmens Foodji, dem Spezialisten für ultrafrisches und hochwertiges Essen am Arbeitsplatz. Er ist verantwortlich für die geschäftliche Weiterentwicklung von Foodji, um das Wachstum voranzutreiben und starke Kundenbeziehungen aufzubauen. Zuvor arbeitete er als VP bei CoachHub und in leitender Funktion beim HR-Software-Anbieter Haufe Umantis.
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