Bernhard Schwingsandl, Best Recruiters Mehr Persönlichkeit: Was im Recruiting nicht vergessen werden sollte

Auf der Suche nach einem neuen Job stellen sich viele Fragen: Wie sieht es mit den Arbeitsbedingungen aus? Welche Anforderungen hat der Arbeitgeber an mich, und wie wichtig sind sie wirklich? Passe ich ins Team? Welche Ziele, welchen Purpose verfolgt das Unternehmen, bei dem ich mich bewerben möchte? Und wenn ich mich tatsächlich bewerbe, wie lange muss ich auf eine Antwort warten?
Mit diesen Fragen beschäftigt sich die BEST-RECRUITERS-Studie: Darin untersuchen wir jährlich, wie Bewerbungsprozesse aussehen, welche Informationen man über Online-Auftritte und Stellenanzeigen erhält und was passiert, wenn man sich bewirbt oder einfach eine Frage an einen Arbeitgeber stellen möchte.
Anfang April wurden die Ergebnisse der diesjährigen Untersuchung von rund 450 Unternehmen und Institutionen in der Schweiz und dem Fürstentum Liechtenstein veröffentlicht. Darin zeigt sich unter anderem deutlich:
Gerade der persönliche Kontakt – der so essenziell ist, wenn es um Menschen geht – sollte nicht vernachlässigt werden.
In der Kommunikation mit Bewerbenden geht es darum, individuelle Persönlichkeiten anzusprechen – und das in allen Schritten der Candidate Journey, die im Rahmen der Studie durch insgesamt 330 Einzelkriterien repräsentiert wird.
Einige werden wir in diesem Artikel vor den Vorhang holen. Beginnen wir bei jenen Informationen, die sich Interessierte schon vor einer möglichen Bewerbung holen können. Diese finden sich auf Karriere-Websites und in sozialen Netzwerken – und ganz wichtig: auch mobil.
Aufbereitung der Informationen
Grundsätzlich sind beinahe alle Karriere-Websites auf Mobilgeräten verwendbar, in der konkreten Umsetzung sieht es dann aber anders aus. Denn damit sich eine Website wirklich „mobil“ anfühlt braucht es mehr als eine 1:1-Kopie der Desktop-Seite auf dem kleinen Bildschirm. Hier geht es um eine übersichtliche Aufbereitung der Informationen, die zumindest auf 92 Prozent der mobilen Karriere-Websites umgesetzt ist: Konkret ist hier die Rede von ein- und ausklappbaren Elementen, und Burgermenüs, die das Navigieren via Touchscreen erleichtern. Allerdings sind nur 23 Prozent der Stellenanzeigen derartig aufbereitet.
Ein weiteres Element ist die Ansprechbarkeit des Arbeitgebers: Generell enthalten nur 7 von 10 Karriere-Websites eine Möglichkeit, persönlichen Kontakt zur HR-Abteilung herzustellen. In nur 54 Prozent der Fälle ist dieser auch so hinterlegt, dass er in der mobilen Variante der Website durch einfaches Klicken kontaktiert werden kann. Auf den restlichen Websites sind die Schritte bis zum Kontakt durch langes Klicken, Kopieren, App wechseln und Einfügen deutlichen ausgefallener; dabei ginge es auch einfacher. Eine konkrete Person ist nur auf einem Viertel der Karriere-Websites angegeben, der Rest der Kontaktmöglichkeiten ist entweder ein unpersönlicher HR-Kontakt oder eine Ansprechperson, die zwar für eine gewisse Zielgruppe wie Auszubildende, aber nicht für alle Anliegen zuständig ist.
Lebensrealität der potenziellen Bewerbenden
In der individuellen Ansprache geht es aber nicht nur um generelle Kontakte, sondern auch um konkrete Themen, die die Lebensrealität der potenziellen Bewerbenden betreffen: Beispielsweise ist die Nachfrage nach flexiblen Arbeitszeiten und -orten in den letzten Jahren stark gestiegen – nicht nur, aber stark bedingt durch die Corona-Pandemie. Auch in den aktuell vorliegenden Ergebnissen werden flexible Arbeitszeiten und Home-Office häufiger erwähnt als noch im Vorjahr: Der Anteil jener Arbeitgeber, die Home-Office ansprechen, ist von 44 Prozent auf 47 Prozent gestiegen; flexible Arbeitszeiten sind nun bei 41 Prozent Thema, im Vorjahr noch bei 39 Prozent.
Anders sieht es dann aber in der konkreten Ausgestaltung aus: Flexibel arbeiten, schön und gut – aber wie? Hier gibt es zahllose Möglichkeiten, wie dies umgesetzt werden kann. Ein ausformuliertes Konzept, wie Remote Work funktioniert, gibt es nur bei zwei Prozent der Arbeitgeber. Darüber hinaus erfordern New Work und flexible Arbeitszeiten eine Anpassung der Arbeitsbedingungen. Derzeit kommuniziert allerdings nur ein Viertel zumindest einzelne Aspekte einer modernen Arbeitsorganisation wie Shared-Desk-Policy oder abteilungsübergreifende Projektarbeit.
Medien-Shift
Allerdings erleben wir in der Kommunikation dieser und anderer Themen einen Medien-Shift: Immer mehr Arbeitgeber setzen auf Videos. Mittlerweile enthalten 72 Prozent der Karriere-Websites und 22 Prozent der Stellenanzeigen Videomaterial. Auch auf Social Media ist bemerkbar, dass verstärkt auf Video-Content gesetzt wird und die dafür prädestinierten Plattformen häufiger genutzt werden. So konnte TikTok im Vergleich zum Vorjahr einen Anstieg von zehn Prozent auf 14 Prozent verzeichnen. Auch die Nutzung von YouTube für Karriere-relevante Inhalte ist von 49 Prozent auf 53 Prozent gestiegen.
Doch die besten Videos und Informationen helfen nichts, wenn das Kerngeschäft des Recruitings außer Acht gelassen wird: Die Beantwortung von Bewerbungen. Im Rahmen der Studie wurden an die Schweizer Arbeitgeber knapp 1.800 Bewerbungen versendet. Die gute Nachricht: 76 Prozent der versendeten Bewerbungen wurden innerhalb von zehn Werktagen mit einer Antwort versehen, wie es weitergeht – also mit einer Absage oder einer Einladung zu einem persönlichen Gespräch. Die schlechte Nachricht: Elf Prozent der Bewerbungen wurden gar nicht beantwortet. Ungefähr die Hälfte davon erhielt zumindest eine Empfangsbestätigung – aber dann eben keine weitere Nachricht mehr.
Potenzial nicht übersehen
Drastischer ist das Ergebnis noch, wenn die Anfrage von einer klassischen Bewerbung abweicht: Ein fiktiver 17-Jähriger sandte den Arbeitgebern eine Anfrage zu, in der er nach Schnuppermöglichkeiten fragt, die womöglich zu einer fixen Ausbildungsstelle führen könnten – auf der Suche nach einer Ausbildungsstelle werde er von der Regionalen Arbeitsvermittlung unterstützt und habe die Aufgabe, Unternehmen in seiner Umgebung zu kontaktieren. Diese Anfrage wurde von 59 Prozent der Organisationen nicht beantwortet – versteckte Potenziale können so leicht übersehen werden.
Denn in Zeiten wachsender Möglichkeiten und künstlicher Intelligenz gilt nach wie vor: Ein Karriere-Auftritt kann noch so gut sein – wenn das Kerngeschäft des Recruitings nicht funktioniert, wird er nicht die gewünschte Wirkung zeigen. Im Endeffekt zählen im Recruiting immer noch der Beziehungsaufbau und die Persönlichkeit.
Über die Person
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