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Management-Dilemmata Maximale Transparenz: Schön wäre es, doch leider nicht möglich!

In Unternehmen stehen Führungskräfte oft vor schwierigen Entscheidungen, die taktisches Handeln erfordern. Prof. Dr. Georg Kraus betont die Notwendigkeit, auch unangenehme Informationen strategisch zu kommunizieren. Ein CEO vor einer Reorganisation muss klug agieren, um Mitarbeitern und dem Betriebsrat gegenüber bestmöglich zu handeln. Maximale Transparenz in der Mitarbeiterkommunikation ist in komplexen Situationen oft illusorisch. Die Realität erfordert strategisches Vorgehen, um die Balance zwischen Offenheit und Notwendigkeit zu finden.

Man kann von Führungskräften keine „Maximale Transparenz“ in der Mitarbeiterkommunikation erwarten, meint unser Autor. (Bild: Georg Kraus)

Samstagnachmittag. Ich sitze im Cockpit meines kleinen Flugzeugs, einer Silver Eagle. Neben mir sitzt der CEO eines großen deutschen Unternehmens, dem ich als Flight Instructor Flugstunden gebe. Die eine hohe Aufmerksamkeit erfordernden Startmanöver sind vorüber, die gewünschte Flughöhe ist erreicht und nun gleiten wir über den Wolken durch die Lüfte.

Die Anspannung meines Flugschülers sinkt allmählich und wir beginnen einen Smalltalk über dies und das. Und da der CEO weiß, dass das Fliegen zwar meine Passion ist, ich meinen Lebensunterhalt aber primär als Unternehmensberater verdiene, thematisiert er nach einiger Zeit auch das, was ihm aktuell auf der Seele brennt. 

Der CEO muss die geplante Reorganisation verkünden

Sein Unternehmen plant im Rahmen einer strategischen Neuausrichtung eine Reorganisation, die auch mit einem „umfangreichen Personalabbau“ verbunden ist – teils um Kosten zu sparen, teils um die erforderlichen Ressourcen zu haben, um neue Kompetenzen aufzubauen. 

Dieses Vorhaben muss der CEO des börsennotierten Unternehmens „zeitnah“ verkünden, da es „kursrelevant“ ist. 

Dabei möchte er dies eigentlich noch nicht, denn für die Reorganisation liegen dem Vorstand zwar erste Blaupausen vor, doch entschieden ist letztlich noch nichts – außer, dass der Konzern eine Reorganisation durchlaufen wird. 

Der CEO weiß jedoch, dass ihn, wenn er das Vorhaben verkündet, die Anteilseigner beziehungsweise Kapitalgeber mit Fragen bombardieren werden, wie: Was habt ihr genau geplant? Wie wirkt sich das auf den Umsatz und die Rendite aus? 

Fragen, die er noch nicht konkret beziehungsweise im Detail beantworten kann – auch um die Mitbewerber nicht auf den Plan zu rufen. „Doch dies auszuhalten, gehört zu meinem Job“, sagt er lakonisch.

Die Mitarbeiterkommunikation bereitet dem CEO - „Bauchschmerzen“ 

Weit stärker belastet ihn, dass – sobald die Reorganisation angekündigt ist – sich auch die Mitarbeiter fragen werden: 

  • Wie geht es weiter mit dem Unternehmen?
  • Ist mein Job noch sicher?
  • Werde auch ich bzw. wird auch mein Bereich von dem Personalabbau betroffen sein? 

„Und unser Betriebsrat wird mich zu einem zeitnahen Beantworten dieser Fragen drängen“, sagt der CEO, „obwohl ich diese Fragen, da noch kein konkreter Reorganisationsplan existiert, im Detail noch nicht beantworten kann.“ 

Entsprechend taktisch müsse er sich auch im Gespräch mit dem Betriebsrat und den Mitarbeitern verhalten, um einerseits die Notwendigkeit einer strategischen Neuausrichtung und Reorganisation zu verdeutlichen und andererseits zu verhindern, dass die Arbeitsmotivation „völlig in den Keller sinkt und wichtige Leistungsträger abwandern“. 

Keinesfalls könne er in dieser Phase der Unsicherheit alle Gedankenspiele, Erwägungen und Beschlüsse des Vorstands publik machen und „das bereitet mir Bauchschmerzen“ betont der CEO, da er selbst wisse: 

„Wenn ich mit den Mitarbeitern kommuniziere, sage ich ihnen oft nur die ‚halbe Wahrheit‘ – nicht, weil ich sie belügen möchte, sondern weil ich aufgrund meiner Funktion in der Organisation unter den gegebenen Rahmenbedingungen mich nicht anders verhalten kann.  

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Der CEO und der Betriebsrat stehen vor einem Management-Dilemma

Darauf frage ich den CEO: „Und wie ist Ihre Beziehung zum Betriebsrat?“ Seine Antwort: „eigentlich ganz partnerschaftlich und vertrauensvoll“. Dessen ungeachtet müsse er sich aber auch im Kontakt mit ihm taktisch verhalten, denn der Betriebsrat verstehe sich primär als Interessenvertreter der Arbeitnehmer. 

Zudem müsse er diesen, wenn es um das konkrete Ausgestalten der Reorganisation gehe, auch Erfolge aufgrund seiner Verhandlungen mit der Unternehmensleitung verkünden können. So zum Beispiel, dass statt der ursprünglich geplanten 1.500 Mitarbeiter nur 1.000 entlassen werden. Oder, dass die Produktionslinie x doch nicht in Ausland verlagert wird, weshalb das Werk y nicht geschlossen wird. 

So wie wir als Vorstand unser Handeln stets vor den Eignern rechtfertigen müssen, muss dies auch der Betriebsrat gegenüber den Mitarbeitern tun. Daran führt kein Weg vorbei, und dies setzt der offenen Kommunikation leider oft Grenzen.“

Vor solchen Dilemmata, für die es keine Standardlösung gibt, sondern in denen situationsabhängig stets die bestmögliche Lösung gefunden werden muss, steht nicht nur das Top-Management von Unternehmen immer wieder. Dasselbe gilt für die Führungskräfte auf den nachgeordneten Hierarchieebenen. 

Auch sie müssen sich aufgrund ihrer Funktion in der Organisation im Mitarbeiterkontakt oft taktisch verhalten. Sie können also, wenn in ihrem Unternehmen zum Beispiel eine Reorganisation oder -strukturierung ansteht, nicht sagen: „Ob diese zielführend ist, daran zweifle ich.“ 

Oder: „Am besten suchen wir uns alle einen neuen Job“ – selbst, wenn ihnen solche Gedanken durch den Kopf gehen. Dies ist mit ihrer Funktion als Team-, Abteilungs- oder Bereichsleiter nicht vereinbar.

Maximale Transparenz beziehungsweise Offenheit ist eine Fiktion

Deshalb ist es aus meiner Warte Nonsens, wenn manche Managementberater von den Führungskräften eine „Maximale Transparenz“ in der Mitarbeiterkommunikation fordern und hierin ein zentrales Element eines wertschätzenden Umgangs mit den Mitarbeitern sowie einer Kommunikation auf Augenhöhe mit ihnen sehen. 

Eine solche Forderung negiert die Komplexität und Vielschichtigkeit ihrer Führungsfunktion und hilft den Führungskräften deshalb nicht, die Dilemmata zu managen, vor denen beim Wahrnehmen dieser Funktion im Betriebsalltag oft stehen.

 

Über die Person

Prof. Dr. Georg Kraus, ist geschäftsführender Gesellschafter der auf das Themenfeld Change und Transformation spezialisierten Unternehmens- und Strategieberatung Kraus & Partner, Bruchsal. Der promovierte Diplom-Wirtschaftsingenieur ist neben seiner Beratungstätigkeit Lehrbeauftragter an der Universität Karlsruhe, der IAE in Aix-en-provence und der St. Gallener Business-School; zudem Honorarprofessor an der technischen Universität Clausthal. Neben mehreren Fachbüchern schrieb er mit den beiden... mehr

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