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Impulse aus der Enkelfähigkeit®-Akademie: Interview mit Jana Berger „Keine produktive Arbeit ohne reproduktive Arbeit“

In Zeiten des Fachkräftemangels lassen zu viele Arbeitgeber noch die Potenziale von Menschen liegen, die Care-Arbeit verrichten. Diese Beobachtung macht die Vereinbarkeitsbloggerin, Unternehmerin und Zweifachmutter Jana Berger, die zudem mit ihrem Herzensthema "Familienfreundlichkeit" als Referentin für die Enkelfähigkeit®-Akademie fungiert. Im Interview mit PERSONALintern sprach sie darüber, welche Hürden für Mütter und Väter abgebaut gehören, was familienfreundliche Unternehmen ausmacht und wie sie selbst Familie und Firma unter einen Hut bringt.

Die verbreitete Abwertung von Teilzeit sieht Jana Berger als größte Hürde für mehr Familienfreundlichkeit in Unternehmen. Hier mit ihrer Tochter. (Bild: Jana Berger).

Über Ihre Firma NeoWork betreiben Sie zusammen mit Ihrem Mann zwei Plattformen, die Jobsuchende mit familienfreundlichen Arbeitgebern zusammenbringen. Warum ist das Thema „Familienfreundlichkeit“ so relevant? 

Jana Berger: Aktuell bewegen wir uns zunehmend in einem Arbeitnehmendenmarkt. Ich muss also als Unternehmen einfach attraktiv sein, und es gibt noch viel Potenzial bei Menschen, die Care-Arbeit verrichten. Meistens sind es Frauen, auf die wir uns hier allerdings nicht beschränken sollten. Leider sind viele dieser Menschen frustriert von der Arbeitswelt, weil sie schlechte Erfahrungen mit Diskriminierung oder schlechten Rahmenbedingungen gemacht haben. Davon kann ich im Übrigen selbst ein Lied singen.

Unser Eindruck war: So richtig fundierte Informationen dazu, wer jetzt wirklich ein familienfreundlicher Arbeitgeber ist, sind im Netz schwer zu finden.

Wir wollen an dieser Stelle Orientierung bieten. Wie sehr das Thema tatsächlich den Zeitgeist trifft, merken wir beim Zuspruch für unsere Inhalte auf Instagram. Allein in den vergangenen sechs Monaten hatten wir einen Zuwachs von 5.000 bis 6.000 Followern, und wir haben mittlerweile zwischen vier und sechs Millionen Views in 30 Tagen.

Welche typischen Hürden für Mütter, Väter, aber auch pflegende Angehörige beobachten Sie am häufigsten in der Arbeitswelt?

Jana Berger: Zunächst einmal gibt es einen verbreiteten Unconscious Bias, der mit Vorurteilen gegenüber Müttern oder allgemein Menschen verbunden ist, die Care-Arbeit verrichten. Sie gelten schnell als weniger leistungsfähig, desinteressiert an Karriere und deshalb weniger förderungswürdig. Wenn ich realistisch an das Thema Familienfreundlichkeit rangehen will, muss ich jedoch damit rechnen, dass jemand öfter ausfällt, weil Kinderkranktage genommen werden, dass manche Termine nicht zustande kommen, dass Überstunden nur begrenzt möglich sind.

Die größte Hürde ist für mich allerdings die Abwertung von Teilzeit, in der zwischen 60 und 70 Prozent aller Mütter arbeiten.

Das hat natürlich den wechselseitigen Grund, dass die Väter in der Regel Vollzeit arbeiten und die Mütter das auffangen, was Väter zu Hause nicht leisten. An die Teilzeitfalle und den Karriere-Knick durch die Stundenreduktion müssen Unternehmen echt ran und zusehen, dass sie eine Teilzeitkultur etablieren. Es reicht nicht zu sagen: ‚Jetzt haben wir keine Bewerbungen bekommen, dann nehmen wir halt die Teilzeitmutti.‘ 

Was ich in diesem Zusammenhang persönlich besonders krass finde: Viele Organisationen sind richtig väterfeindlich. Es ist vielerorts immer noch ein gefühltes No-Go, dass Männer in Teilzeit oder in die Elternzeit gehen. Selbst in den Unternehmen, bei denen ich das Gefühl habe, sie sind sehr mütterfreundlich, hat selten jemand an die Väter gedacht.

Und es hat auch keiner daran gedacht, dass Väterförderung immer auch Mütterförderung ist.

Alleinerziehende verdienen an dieser Stelle sicherlich noch einmal ein besonderes Augenmerk, aber in den allermeisten Fällen gibt es ja einen anderen Elternteil.

Vor diesem Hintergrund: Welche Kerngedanken verbinden Sie mit dem Begriff „Familienfreundlichkeit“?

Jana Berger: Das Mindestmaß für familienfreundliche Unternehmen ist für mich das Verständnis dafür, dass es keine produktive Arbeit ohne reproduktive Arbeit gibt. Es kann keine Wirtschaft geben ohne jemanden, der sich um die Kinder kümmert, Kranke und Alte betreut. Ich gehöre übrigens selbst zu beiden Kategorien, da ich auch meine Mutter pflege. Meiner Erfahrung nach ist es so, dass die meisten Menschen, die Care-Arbeit verrichten, Verständnis dafür wollen, dass sie zu Hause noch eine zweite Rolle haben. Und ich rede hier nicht nur über zeitlich begrenztes ‚Entgegenkommen‘ während der Kita- und Kindergartenzeit. Denn nach dieser Zeit fängt für uns Eltern eine zweite ‚Schicht‘ an.

Sie bieten auch Workshops und Seminare zum Thema Familienfreundlichkeit an, unter anderem im Rahmen der Enkelfähigkeit®-Akademie. Welche Tipps geben sie Arbeitgebern, die sich familienfreundlicher aufstellen wollen? Wo sollten sie zuerst ansetzen?

Jana Berger: Ganz oben. Vielerorts wurde das Thema Nachhaltigkeit – oft genug ja auch auf Druck von außen – bereits zur Chef- oder Chefinnensache erklärt, und genauso ist es mit der Familienfreundlichkeit. Natürlich ist es wichtig, den Mitarbeitenden unterstützende Benefits, flexible Arbeitsbedingungen oder Tools wie Coaching oder Elternzeitbegleitung an die Hand zu geben.

Wenn es aber die Leute im Board und auf Führungspositionen nicht verstanden haben, dann kann ich so viele Benefits anbieten, wie ich will. Weil dann einfach die Unternehmens- beziehungsweise Arbeitskultur nicht familienfreundlich ist.

Und: Man sollte auf die Menschen hören. Wenn jemand als Vater/Mutter sagt: ‚Das wäre mal toll und würde mir weiterhelfen‘, sollte man ernsthaft drüber nachdenken, auf diesen Wunsch einzugehen. Fakt ist: Viele Benefits werden ja gar nicht angenommen, weil sie an der Zielgruppe vorbei zielen.

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Was wäre für Sie so ein Beispiel?

Jana Berger: Betriebskindergärten haben zwar Vorteile in der Außenwirkung und sind ein Angebot, hinter dem viel Aufwand steckt, aber: Die Leute nutzen das Angebot gar nicht so, wie mir schon verschiedene Geschäftsführende berichtet haben. Zum einen wohnen heute aufgrund zunehmender Remote-Arbeit immer weniger Mitarbeitende überhaupt in der Nähe des Unternehmensstandorts. Zum anderen wollen die meisten Eltern ohnehin lieber eine wohnortnahe Kinderbetreuung, nicht zuletzt auch wegen der sozialen Kontakte des Kindes. Da macht es viel mehr Sinn, wenn man Belegplätze oder einen Betreuungszuschuss anbietet – Alternativen, die von jedem genutzt werden können.

Veranstaltungstipp: Seminar „Erfolgsfaktor Familienfreundlichkeit“

Inhalt: Nun, nachdem der Fachkräftemangel in fast allen Branchen mehr als deutlich erkennbar ist, stellt sich nicht mehr die Frage, ob man als familienfreundlicher Arbeitgeber wahrgenommen werden will oder nicht. Fest steht: Nur wirklich familienfreundliche Unternehmen werden zukunftsfähig sein, werden im Kampf um neue Mitarbeiter auf dem Arbeitsmarkt bestehen und am Ende die hart umkämpften Mitarbeiter an sich binden.

Aber wie geht man das Thema an? Wann genau ist man, wie genau wird man familienfreundlich und was ist zu tun, damit das Unternehmen als solches auch wahrgenommen wird? Was ist zu beachten und welche Fehler sollte man möglichst vermeiden? Jana Berger berät hierzu eine Vielzahl von Arbeitgebern, weiß wie es geht, und teilt darüber hinaus auch gerne ihre persönlichen Erfahrungen als 2-fach Mama.

Termine:

  • 28. Februar 2024, München (10.00 bis 18.00 Uhr)
  • 12. Juni 2024, Duisburg (10.00 bis 18.00 Uhr)
  • 27. November 2024, Hamburg (10.00 bis 18.00 Uhr)

Referentin: Jana Berger, Co-CEO und Founder, NeoWork

Weitere Informationen zum Inhalt und der Teilnahme finden Sie hier.

 

Mit Blick auf die Unternehmenspraxis, die Sie ja auch auf Ihren Plattformen familienfreundliche-arbeitgeber.de und momjobs.de herausstellen. Was sind für Sie positive Beispiele für Familienfreundlichkeit?

Jana Berger: Der Kreativität sind tatsächlich keine Grenzen gesetzt. Wir haben beispielsweise eine Schreinerei als Kunden, die zusätzlich zur Vier-Tage-Woche und einer teilzeitfreundlichen Kultur ein ‚Windelgeld‘ ins Leben gerufen hat. Das macht womöglich für Eltern das Kraut nicht fett, ist aber eine kleine Entlastung und die Möglichkeit als Arbeitgeber zu zeigen: Das ist uns wichtig. Was in den USA schon fast zum guten Ton gehört, sind sogenannte Fertility Benefits, mit denen Menschen bei ihrem Kinderwunsch finanziell und psychologisch unterstützt werden. Hier in Deutschland ist es noch nicht so weit verbreitet, die Unternehmensberatung Kearney bietet eine solche Leistung an.

Die Firma Cewe wiederum ist für mich ein schönes Beispiel für einen ganzheitlichen Ansatz. Hier hat man gemerkt:

Hinter mangelnder Familienfreundlichkeit steckt nicht immer ein böser Wille, sondern oft Unwissenheit.

Daher gibt es dort ein Programm, durch das nicht nur die Person, die ein Kind bekommt, sondern auch die zuständige Führungskraft begleitet wird. Zudem gibt es ein sogenanntes Elterncafé. Das dient als Treffpunkt zum Austausch, aber auch um Informationen aus dem Unternehmen weiterzugeben. Hintergrund: Viele Mütter kehren nach der Elternzeit nicht mehr in ihre Unternehmen zurück, wodurch wertvolles Potenzial in Form eingearbeiteter Mitarbeiterinnen flöten geht. So kann man sie binden.

Aktuell spielt der Familienfreundlichkeit natürlich auch der Trend zur digitalen Zusammenarbeit in die Karten.

Inwiefern?

Jana Berger: Ich kann mich auch an den Fall einer Mutter erinnern, die in harter Teilzeit gearbeitet hat und das nicht mit Kinderbetreuung vereinbaren konnte. Sie dachte sogar über einen Ausstieg aus dem Arbeitsmarkt nach. Jetzt arbeitet sie bei einem neuen Arbeitgeber full remote und in Vollzeit. Die Kernarbeitszeit läuft von 8 bis 12 Uhr und den Rest arbeitet sie so ab, wie es für sie passt.

Letzte Frage: Was haben Sie aus der täglichen Beschäftigung mit dem Thema „Familienfreundlichkeit“ für sich persönlich und die Führung Ihrer Firma gelernt?

Jana Berger: Ein Learning war zunächst, dass die Selbstständigkeit nicht DIE Rettung für alle Mütter oder Väter ist, die Care-Verantwortung haben. Mit diesem Gedanken lag ich selbst erst einmal falsch. Es hängt schon sehr stark davon ab, wie man sich das Ganze selbst einrichtet, mit welchen Kunden man es zu tun hat und welche Glaubenssätze man hat. Top-Sharing ist hier ein hilfreiches Instrument: Mein Mann und ich teilen uns die Führung unseres Unternehmens recht erfolgreich, wie ich finde.

Ich bin überzeugt: Top-Sharing oder Job-Sharing ist auch für Teams oder Abteilungen in anderen Unternehmen ein gutes Modell.

Wenn es nicht auf Anhieb rund läuft, muss es nicht am Modell liegen, sondern kann seine Gründe auch an der persönlichen Konstellation oder der mangelnden Vorbereitung haben.

Und, was bei mir im letzten halben Jahr – vorher war ich so etwas wie ein Workaholic – hinzugekommen ist: Ich versuche mein Leben so weit wie möglich nach der Vier-in-einem-Perspektive von Frigga Haug zu organisieren. Das ist ein Stück weit ein Gegenentwurf zu dem Modell, das heute in der Gesellschaft vorherrscht. Demzufolge teilt man sich seinen Tag auf in je vier Stunden Erwerbsarbeit, vier Stunden Sorge-Arbeit, vier Stunden kulturelle Selbstverwirklichung und vier Stunden politisches Engagement.

Ich möchte auch unser Unternehmen langfristig so aufbauen und führen, dass es dieser Perspektive nahekommt. Wie auch immer das in der Praxis genau ausgestaltet werden kann.

Das Interview führte Alexander Kolberg.

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Über die Person

Jana Berger ist Vereinbarkeitsbloggerin, 2-fach Mama, Gründerin und Geschäftsführerin der NeoWork GmbH und Expertin für Online- und Personalmarketing, Employer Branding und Social Recruiting. Ihre Inhalte werden jährlich über 100.000-mal aufgerufen. Über ihre Recruiting-Plattformen Familienfreundliche-Arbeitgeber.de und Momjobs.de matched Sie erfolgreich jobsuchende Eltern mit familienfreundlichen Unternehmen und berät diese auf dem Weg zum familienfreundlichen Arbeitgeber.

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