Nachbericht RACER Symposium „Ein evidenzgestütztes HR, geführt von Menschen“
Mit einem Abriss der weltpolitischen und weltwirtschaftlichen Großlage, die unternehmerisches Handeln aktuell bestimmt, eröffnete Detlef Hartmann, CEO der RACER Benchmark Group, am 25. April das RACER Symposium. Gut 60 Teilnehmende – mehrheitlich Employee Experience-Verantwortliche deutscher Großunternehmen – waren für die Veranstaltung in die Eventlocation RheinRiff in Düsseldorf gekommen.
Polykrisen erfordern Resilienz und Anpassungsfähigkeit
Das Jahr 2024 sei gekennzeichnet durch eine Polykrise sich überlappender militärischer, ökonomischer und ökologischer Krisen, so Hartmann in seiner Keynote. Die Gleichzeitigkeit mehrerer Krisenherde, Wechselwirkungen zwischen Einzelkrisen, ihre Komplexität und Unvorhersehbarkeit stellten Unternehmensverantwortliche vor große Herausforderungen. Als Ansatz zu ihrer Bewältigung hob Hartmann die Schaffung organisationaler Resilienz hervor. Worum es dabei aus seiner Sicht geht:
Das Wohlbefinden und die Sicherheit der Mitarbeitenden im Blick haben und gleichzeitig anpassungsfähig und leistungsstark bleiben.
Fördernde Faktoren seien ein systematisches Risikomanagement, Agilität und klare Kommunikation, Multitasking sowie eine Unternehmenskultur des Lernens. Hinsichtlich des Risikomanagements täten sich allerdings viele Unternehmen schwer, Warnzeichen rechtzeitig wahrzunehmen, die Schwere von Krisen richtig einzuordnen und geeignete Maßnahmen rechtzeitig einzuleiten. Was könnte hier der Beitrag von HR sein? „Mitarbeitende, die in den Bereichen Resilienz, Anpassungsfähigkeit und vernetztem Denken geschult werden, tragen zur Flexibilität des gesamten Unternehmens bei“, zeigte sich Hartmann überzeugt.
Globale Herausforderung: Veränderung wird komplexer und schneller
Mit globalen Trends und ihren Auswirkungen auf die Employee Experience beschäftigten sich Dr. Ingrid Feinstein und Harald Hasselmann vom Markt- und Sozialforschungsinstitut Ipsos in ihrer Keynote „Eine neue Welt-(Un-)Ordnung“. Dafür zogen sie u.a. die Studie „Global Ipsos Advisor“ heran, für die 22.000 Menschen weltweit in 33 Ländern befragt wurden. Kernergebnis: Weltweit fühlen sich Menschen von der Komplexität und Geschwindigkeit von Veränderungen überwältigt. Aus der Befragung leitete Ipsos 12 sogenannte Ipsos Global Trends ab. Darunter inklusive abgeleiteter Fragen:
- Der Kapitalismus befindet sich an einem Wendepunkt. Wie können wir Menschen helfen, individuellen Erfolg zu haben und zu feiern, ohne die Ungleichheitsantagonismen zu befeuern?
- Authentizität ist König. Welche Werte und Überzeugungen unterstützen Sie und wie bringen Sie diese für die Mitarbeitenden zum Leben?
- Technologien und Daten. Können wir die Balance halten: Die Achtung der Privatsphäre und die Nutzung von Technik zum Vorteil für alle?
- Physische und mentale Gesundheit. Bekommen Menschen genug Unterstützung für die (zunehmende) Ambition, ihre körperliche und geistige Gesundheit zu balancieren und zu priorisieren?
Bezogen auf Deutschland präsentierten die beiden Ipsos-Experten weitere Studienergebnisse, denen zufolge sich die Menschen hierzulande im internationalen Vergleich etwa hinsichtlich ihrer finanziellen Situation, Wertschätzung, Vertrauen in Führungskräfte und psychischer und mentaler Gesundheit eher im Mittelfeld oder im unteren Drittel verorten. Wollen Unternehmen konstanten Wandel managen, gelte es, Bedürfnisse besser zu verstehen, Führungskräfte zu sensibilisieren und sich mit einem guten Employee Listening-Instrumentarium auszustatten.
Woran sich EX-Management künftig messen lassen muss
Wie letzteres aussehen kann und – vor allem – in der Bandbreite seiner Möglichkeiten idealerweise genutzt werden sollte, darauf gingen Dr. Vanessa Kowallik und Dr. Roland Abel von Qualtrics näher ein. Sie beschrieben „Kernelemente modernen Employee Experience Managements“, das sich in Zukunft an fünf Punkten messen lassen müsse:
- Einfache technologische Umsetzung komplexer Anforderungen: Keine schablonenhaften Lösungen und technologischen Flickenteppiche, sondern konsolidierte Daten aus verschiedenen Quellen, effiziente Generierung und Zusammenfassung von Erkenntnissen (bspw. KI-unterstützt) und Flexibilität (etwa Entschlackung zentraler Befragungen zugunsten lokaler Surveys)
- Relevanz für Unternehmen und Belegschaft: Employee Listening nicht nur punktuell, statisch und via Befragung, sondern kontinuierlich, im relevanten Experience-Moment und unter Einbeziehung des unstrukturierten Feedbacks, das im Unternehmen an verschiedenen Stellen aufläuft.
- Erkenntnisgewinne: Statt Zuhören in Silos und isolierten Erkenntnissen etwa zum Onboarding, Weiterbildungen und Engagement ein tieferes Verständnis von Zusammenhängen durch Integration von Analysen und Tools.
- Aktivierung von Veränderung: Maßnahmenprozesse dauern häufig lange und HR-Verantwortliche überschätzen, wie gut sie das Feedback der Mitarbeitenden nutzen. Lösungsansätze: Betroffene zu Beteiligten machen; Ideensammlung und Voting; das Closing-the-loop-Denken aus dem CX-Management übertragen.
- Strategische Passung: Statt kurzfristiger Befragungen ohne Strategiebezug oder solchen mit Themen von vor fünf Jahren Aufbau eines strategischen EX-Programms mit einer Roadmap, unterstützt durch ein EX-Center of Excellence.
Eine High Performance-Kultur fördern
Wie umgehen mit der BANI-Welt? Vor dieser Frage steht auch die Robert Bosch GmbH. Vice President Organizational Development Dr. Lorenz Hagenmeyer zeigte am Beispiel des Technologieunternehmens auf, wie eine High Performance-Kultur durch Employee Listening unterstützt werden kann. Schwerpunkte setzt Bosch auf die Förderung der vier organisationalen Fähigkeiten Resilienz, Empathie, Anpassungsfähigkeit, Transparenz & Intuition. Ansätze sind unter anderem eine ausgeprägte Collaboration-Kultur, Agilität und datenbasiertes Arbeiten.
Status quo und Fortschritte werden durch eine differenzierte Feedback-Landschaft (bei Bosch impact:x genannt) erhoben. Basis ist eine jährliche Gesamtbefragung der rund 420.000 Mitarbeitenden weltweit, ergänzt durch einen halbjährig versetzten Executive Pulse Check. Mit impact:experience holt Bosch zudem Feedback entlang des Employee Life Cycle ein. Dazu kommen verschiedene Befragungen etwa zu Leadership, Wellbeing und Zusammenarbeit auf Teamebene.
Workshops zu Governance, Gefährdungsbeurteilung und KI
In vier parallelen Workshop Sessions konnten sich die Teilnehmenden zwischendurch mit Praxisbeispielen und konkreten Fragen rund um Mitarbeiterbefragungen auseinandersetzen:
- Unter anderem zeigte Ipsos auf, wie Social Communities im Sinne eines fortlaufenden Dialogs mit ausgewählten Mitarbeitenden die Agilität von Employee Listening verbessern können. Chancen bestünden u.a. in einer höheren Motivation sowie einem schnelleren und durch aufgebautes Vertrauen ehrlicheren Feedback.
- Das Praxisbeispiel BMW zeigte, wie ein Governance-Modell für Befragungen dafür sorgen könnte, Standards sicherzustellen und zu häufige Befragungen derselben Zielgruppen zu vermeiden. BMW unterscheidet beispielsweise bei Befragungen zwischen „Data for Dialog“ mit Fokus auf Weiterentwicklung, Verbesserungen und Partizipation und „Data for Answers“ mit Fokus auf Informationsgewinnung und Steuerung und hält Business Units und Standorte z.B. dazu an, rund um die zentrale MAB keine Befragungen aus dem Cluster „Data for Dialog“ durchzuführen.
- Wie eine psychische Gefährdungsbeurteilung im Rahmen der bestehenden Befragungslandschaft impact:x (siehe oben) konzipiert, gesteuert und international ausgerollt werden kann, zeigte sich am Praxisbeispiel von Bosch, wo genau dies aktuell stattfindet.
- Und um die Herausforderungen von HR-Abteilungen bei der Einführung von KI ging es im Workshop der Wirtschaftskanzlei Noerr. Unter anderem wurden die Kernpunkte des AI Acts der EU sowie die Auswirkungen von KI auf Datenschutz, Arbeitsschutz und Mitbestimmung besprochen.
Mehr als nur ein Werkzeug
Wie „Kontinuierliches Zuhören, Verstehen und Handeln bei SAP“ funktioniert, beschrieb Dr. Max Mühlenbock, beim Software-Haus für den Bereich Future of Work Insights zuständig. Aufgaben seines Teams sind die Gestaltung und Leitung von globalen Feedbackprogrammen, Bereitstellung entscheidungs-relevanter Erkenntnisse und die Einbringung externer Sichtweisen. Ziel: „Ein evidenzgestütztes HR, geführt von Menschen“. Für gute Personalentscheidungen brauche es mehr als nur ein Werkzeug, so Mühlenbock, der zudem feststellte: „It’s not all about data – alle Tools können einen Blind Spot haben.“ SAP setzt daher auch auf qualitative Informationen aus persönlichen Gesprächen und holt den Rat von Beratern ein.
Das globale SAP-Feedbackprogramm #unfiltered ist auf Zuhören, Verstehen und Handeln ausgerichtet. Die gesammelten Daten zu Engagement, Teamkultur, Führung und Vertrauen in die Führung, Gesundheit und Wohlbefinden und Strategische KPIs werden im Anschluss auf mehreren Ebenen diskutiert und zentrale und dezentrale Initiativen eingeleitet. Dafür erhalten die 10,000+ Führungskräfte und HR Business Partner Zugriff auf Dashboards mit weitreichenden Analyseoptionen als Basis für Teamdiskussionen. „Das Dashboard ist nur der Startpunkt, Diskussionen sind für das Verständnis unerlässlich“, so Mühlenbock, der zudem die Bedeutung eines guten Stakeholdermanagements für eine hohe Response-Quote (bei SAP im Schnitt 72 Prozent), die Motivation zur Diskussion und die kontinuierliche Verbesserung des Programms hinwies.
Verstehbarkeit, Handhabbarkeit, Sinnhaftigkeit
„Monster, Management, Maschinen – Unternehmen resilient führen“ lautete der Vortrag von Prof. Dr. Thomas Mayer. Der Dozent der Mediadesign Hochschule in Düsseldorf beschäftigte sich damit, wie trotz Krisen, ständiger Transformation und Disruption die Veränderungsbereitschaft von Organisationen aufrechterhalten werden kann. Mayers Beobachtung nach leidet die nach wie vor häufig darunter, dass Change-Programme zu oft Top-down verordnet und zudem der Nutzen nicht gut erklärt würden. Auch Sorgen vor Mehrarbeit und Upskilling-Notwendigkeit gelte es besser zu adressieren.
Speziell die Einführung von Künstlicher Intelligenz führe zur Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit der Frage: „Was ist eigentlich meine genuine Rolle im Unternehmen?“ Seine Einschätzung nach sollte KI entlang der drei Schritte Anfangen, Ausprobieren und Aufbauen erfolgen. Setze man dabei beispielsweise auf eine positive Fehlerkultur, die Potenziale der Mitarbeitenden (Bsp.: Innovations-Teams) und Empowerment, könne KI positiv sowohl auf die Anpassungsfähigkeit von Unternehmen als auch die Selbstwirksamkeit der einzelnen einzahlen.
Zentrale Frage für Mayer: Woher kommt eigentlich die Energie für Veränderung? Achtsamkeit und Salutogenese sind für ihn wichtige Begriffe, generell gelte: „Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Sinnhaftigkeit führen zum Gefühl der Stimmigkeit.“
Dieses Gefühl der Stimmigkeit dürfte bei den allermeisten Teilnehmenden auch am Ende eines informativen Tages gestanden haben. Das RACER Symposium zeigte eindrücklich die Relevanz des guten Drahts zu Mitarbeitenden in herausfordernden Zeiten auf und lieferte zudem zahlreiche Good Practices für Employee Listening-Programme sowie hilfreiche Tipps zu ihrer kontinuierlichen Verbesserung.
Über die Person
Alexander Kolberg ist als Redaktionsleiter für die Inhalte von PERSONALintern.de zuständig. Zudem unterstützt er innerhalb des Smart News Fachverlags die Redaktionen der Schwesterportale CONSULTING.de und marktforschung.de. Er verfügt über mehrjährige Redaktionserfahrung bei Fachpublikationen im Bereich Personalmanagement und war zudem über vereinhalb Jahre als Referent für einen Industrieverband tätig.
E-Mail: alexander.kolberg(at)personalintern.de
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