Impulse aus der Enkelfähigkeit®-Akademie: Interview mit Michael Hähnel „Die Marke hat etwas ganz Natürliches getan: Sie erschloss sich ein neues Segment“

Das Familienunternehmen Rügenwalder Mühle hat seit 2014 einen umfassenden Wandel vom reinen fleischverarbeitenden Betrieb hin zu mehr vegetarischen und veganen Produkten vollzogen. PERSONALintern sprach mit CEO Michael Hähnel über die Erfolgsfaktoren für diese Transformation, über regionales Engagement, ökologische und soziale Verantwortung sowie über die Ernährung der Zukunft.

Michael Hähnel, Vorsitzender der Geschäftsleitung von Rügenwalder Mühle (Bild: Rügenwalder Mühle).
Rügenwalder Mühle hat in den vergangenen Jahren eine weitreichende Transformation hin zu mehr vegetarischen und veganen Produkten durchgeführt, über deren Erfolgsfaktoren Sie demnächst auch als Referent im Rahmen der Enkelfähigkeit®-Akademie berichten werden. Erste Frage: Was verbinden Sie eigentlich mit dem Begriff „Enkelfähigkeit“?

Michael Hähnel: Für mich bedeutet Enkelfähigkeit die Verbindung von ökologisch und sozial nachhaltiger Unternehmensführung mit nachhaltiger Unternehmensentwicklung. Ein angestellter Geschäftsführer wie ich hat dabei die zeitlich begrenzte Aufgabe, die Unternehmung im Sinne der Gesellschafter dahin zu führen, dass die nachfolgende Generation die bestmögliche Basis vorfindet. Generationenübergreifend zu handeln, bedeutet dann in einem Familienunternehmen glücklicherweise nicht, von einer Adhoc-Meldung zum Quartalsbericht zur nächsten denken zu müssen, sondern die langfristige Unternehmensentwicklung im Blick zu haben.

Dieses Denken gibt es bei der Rügenwalder Mühle seit 1834.

Enkelfähigkeit funktioniert dabei immer nach wirtschaftlichen Maßgaben und Machbarkeitsgesichtspunkten. Enkelfähig kann für mich insofern auch ein Börsengang sein oder – wie kürzlich in unserem Fall – der Zusammenschluss mit einem starken Partner, der das Unternehmen weiterentwickelt.

Sie beziehen sich auf die kürzlich verkündete Mehrheitsbeteiligung der Familienholding Pfeifer & Langen Industrie- und Handels-KG an der Rügenwalder Mühle. Aus welchen Gründen erfolgt der Schritt, und wie wichtig war es, dass der neue Partner ebenfalls ein Familienunternehmen ist?

Michael Hähnel: Es gibt zwei Kernbereiche, die wir im Rahmen unserer Wachstumsstrategie in Zukunft forcieren wollen: Die Internationalisierung von Rügenwalder Mühle im DACH-Raum und den Bereich der „Out of home“-Angebote, also B2B-Angebote für Kantinen und Caterer. In einer solchen Situation stellt sich immer die Frage nach dem Finanzbedarf, um das entsprechende Wachstum abbilden zu können.

Für uns war immer klar: Wir sind und bleiben ein Familienunternehmen.

Die Eigentümerfamilie hat sich entschieden, aktiv einen Partner zu suchen, der die langfristigen Ziele und gleichzeitig die Philosophie des Unternehmens mitträgt. Das hat auch etwas mit Glaubwürdigkeit nach innen und außen zu tun. Wir sind überzeugt, dass Pfeifer und Langen in dieser Hinsicht genau der richtige Partner ist.

In der Philosophie von Familienunternehmen ist die regionale Verwurzelung häufig eine zentrale Säule. Welche Rolle spielt die bei der Rügenwalder Mühle?

Michael Hähnel: Wir sind für die Region um Bad Zwischenahn einer der größten Arbeitgeber. Dazu kommen Zulieferer und Dienstleister aus der Region. Rund achtzig Prozent unserer Lebensmittellieferanten kommen aus Deutschland – ein Drittel davon sogar bei uns aus Niedersachsen. Mit unseren Fleischlieferanten beispielsweise haben wir jahrelange vertrauensvolle Partnerschaften. Im Durschnitt sind diese weniger als 100 Kilometer von uns entfernt. Natürlich hat Regionalität auch seine Grenzen, wir können nicht alles aus dem engen Umkreis sourcen.

Ähnliches gilt übrigens auch für die Mitarbeitergewinnung – auch wenn viele Beschäftigte hier in der Gegend sozialisiert wurden. Marketing, Sales und teilweise das Controlling sitzen inzwischen zu großen Teilen in Hamburg, weil wir dort die Talentpipeline deutlich besser füllen können. Das Ammerland bleibt aber hinsichtlich unserer Identität zentral.

Das Markenzeichen von Rügenwalder Mühle ist seit über 100 Jahren eine rote Mühle. Ein funktionsfähiger Nachbau steht seit 2012 auf dem Gelände eines vom Unternehmen restaurierten Ammerländer Bauernhofs in Bad Zwischenahn. (Bild: Rügenwalder Mühle)

Regionale Verbundenheit geht oft mit sozialem Engagement einher. Was tun Sie für Land und Leute?

Michael Hähnel: Ein gutes Beispiel ist der „Mühlentaler“, eine Initiative, die 2013 von einem Mitarbeitenden initiiert wurde. Aktuelle und ehemalige Beschäftigte spenden den Cent-Betrag ihres monatlichen Einkommens und die Geschäftsleitung rundet diesen Betrag auf einen Euro auf. Die Gesamtsumme geht dann – ergänzt um die Spenden des Unternehmens – an Organisationen rund um Bad Zwischenahn, die von den Spenderinnen und Spendern vorgeschlagen werden. Zudem finden regelmäßig die sogenannten „Social Days“ statt, an denen sich unsere Mitarbeitenden für einen guten Zweck einsetzen – etwa für ein Waldprojekt oder indem sie in einem Seniorenwohnheim mithelfen. Wir schlagen dadurch nicht nur Brücken zwischen Arbeitswelt und unserer Umwelt – auch die Mitarbeitenden lernen sich so auf einer neuen Ebene kennen.

Rügenwalder Mühle legt großen Wert auf eine nachhaltige Unternehmensführung. Was verstehen Sie darunter?

Michael Hähnel: Ein Punkt ist sicherlich die Verlässlichkeit als Arbeitgeber. Wir haben viele sehr lange Betriebszugehörigkeiten und stehen wie viele andere Unternehmen aufgrund der Demografie vor einem Wandel. Es gilt jetzt die jüngeren Generationen in die Jobs hineinzukriegen, auf denen sie dann hoffentlich auch Jahrzehnte bei uns bleiben.

Für die Marke Rügenwalder Mühle wiederum ist Nachhaltigkeit im Sinne der Herkunft der Rohstoffe besonders wichtig.

In unserer Einkaufspolitik spielen Tierhaltung und Tierwohl eine große Rolle, aber auch soziale und ökologische Probleme, die mit dem Anbau von pflanzlichen Rohstoffen verbunden sein können. Daher beziehen wir Soja nur aus Nordamerika und zunehmend auch aus Deutschland. Diese Haltung war auch vor dem Lieferkettengesetz – dessen bürokratische Auswirkungen wir als Mittelständler übrigens gerade spüren – fester Bestandteil der DNA des Unternehmens.

Weitere zentrale Nachhaltigkeitsthemen sind Wasserverbrauch, Einsparung von Verpackungsmaterial sowie die Senkung unseres CO2-Fußabdrucks.

Dies machen wir nicht, weil es gerade die Erwartungshaltung von Verbrauchern ist, sondern weil es für richtig halten.

Gleiches gilt für unsere Entwicklung vom reinen fleischverarbeitenden Betrieb zu einem Lebensmittelhersteller auch für vegetarische und vegane Produkte. Wir glauben, dass da die Zukunft liegt.

Diese Transformation hin zu mehr veggie und vegan startete im Jahr 2014. Warum ist Rügenwalder Mühle damals diesen radikalen Schritt gegangen?

Michael Hähnel: Ich finde den Schritt eigentlich gar nicht so radikal. Wir sind weiter auf dem Brötchen oder auf dem Brot, und wir sind weiter auf dem Teller. Wir sind weiter am Frühstück beim Abendessen dabei. Die Marke hat etwas ganz Natürliches getan: Sie erschloss sich ein neues Segment. Die ersten Schritte erfolgten ab 2014 und hatten auch etwas Experimentelles an sich – der spätere Erfolg war in dem Maße nicht absehbar.

Als radikal empfinde ich eher das, was uns noch vor zwei bis drei Jahren auch auf Social Media als Lagerbildung begegnet ist.

Es gibt Hardcore-Veganer, die sind schrecklich intolerant in ihren Einstellungen, und es gibt Hardcore-Fleischesser, die das ebenfalls sind. Einer unserer Consumer Insights war, dass die allermeisten Menschen müde sind von solchen Konflikten, und auch von Bevormundung beim Essen. Die Erkenntnis ist in unseren Claim „Am besten schmeckt‘s, wenn‘s allen schmeckt“ eingeflossen. Heißt für uns: Wir machen Produkte aus Fleisch und auf pflanzlicher Basis, solange die Nachfrage da ist. Jeder und jede soll essen, was er und sie will, ohne moralischen Zeigefinger.

Sie sagen, dass der Wandel kein Selbstläufer war. Welche Gründe waren entscheidend dafür, dass er gelungen ist?

Michael Hähnel: Das zentrale Kriterium für die Verbraucherinnen und Verbraucher ist natürlich: Es muss schmecken. Wir sind nur deswegen im vegetarischen und veganen Bereich so erfolgreich, weil wir vorher so erfolgreich mit Wurst aus Fleischwaren waren. Ein großer Treiber war die ab 2018 aufkommende Fridays-for-Future-Bewegung, in deren Zuge von den jüngeren Generationen auch Nahrungsgewohnheiten hinterfragt wurden. Ein weiterer Boost kam durch die Corona-Pandemie, weil die Menschen viel zu Hause gegessen haben und mehr Zeit hatten, über Ernährung nachzudenken und etwas auszuprobieren.

Als allgemeine Lehre kann man festhalten: Es muss erlaubt sein, disruptiv zu sein.

Dieses Denken muss von Führungskräften und Mitarbeitenden gefordert werden. Und es muss von den Gesellschaftern gewollt sein. Bei der Rügenwalder Mühle war dieses Denken von der Eigentümerfamilie absolut gepusht. Wenn man Aktionäre hätte mitnehmen müssen, die einen ausgeprägten Ausschüttungswunsch haben, wären diese mutigen Entscheidungen womöglich gar nicht getroffen worden. Und: Man muss einen langen Atem haben.

Neue Produkte müssen auch vom Handel akzeptiert werden. Welche Erfahrungen haben Sie da gemacht?

 Michael Hähnel: Unsere vegetarischen und veganen Fleischersatzprodukte wurden von den Fleischern im Einkauf tatsächlich erst einmal milde belächelt. Auch heute noch sitzen bei manchen Handelspartnern Menschen, die gewandelte Ernährungsgewohnheiten offenbar noch nicht wahrgenommen haben oder wahrnehmen möchten. Allerdings hat die Marke Rügenwalder Mühle auch eine gewisse Zugkraft. Der Handel braucht uns als Orientierung und Reibepunkt. Viele Handelspartner haben die neuen Produkte auch sehr schnell positiv aufgenommen. Vielleicht an dieser Stelle einmal zur Einordnung, wo wir aktuell zahlenmäßig stehen: Wir reden bei Wurst aus Fleisch in Deutschland von einem Gesamtumsatz von über 10 Milliarden Euro pro Jahr. Nicht Fleisch, nur Wurst. Der Bereich für vegetarische und vegane Fleischersatzprodukte macht 760 Millionen Euro aus.

Wie ist Rügenwalder intern mit der Transformation umgegangen? Fleischer, die sich nicht wirklich mit einer veganen Frikadelle oder Leberwurst anfreunden können, werden Sie auch im eigenen Unternehmen gehabt haben…

Michael Hähnel: Die haben wir immer noch (lacht). Sie haben den Berufsstolz eines Fleischers, der Ihnen in der Ausbildung vermittelt wurde. Und es ist schön, dass sie immer noch da sind und ihre Jobs wie vor 15 Jahren machen.

Die Menschen würden sicherlich ganz anders über die Veränderungsprozesse denken, wenn wir Produkte eingestellt hätten oder bestimmte Gewerke wegen des völligen Umbaus der Produktionshallen nicht mehr benötigt worden wären. Die Produktionsprozesse für vegetarische und vegane Produkte sind allerdings stark angelehnt an die Art und Weise, wie wir Wurst machen.

Mitarbeitende stehen also immer noch am Kutter, nur dass da kein Fleisch mehr eingefüllt wird, sondern pflanzliche Zutaten.

Wir sind zudem in den vergangenen Jahren, auch was Mitarbeiterzahl angeht, massiv gewachsen. In den Jahren seit unserem Veggie-Wachstum haben wir unsere Mitarbeitendenzahl fast verdoppelt. Die Menschen haben alle noch ihre Jobs und neue Kolleginnen und Kollegen sind hinzugekommen. Das und der sichtbare Erfolg des eingeschlagenen Weges motiviert die Leute auch ungemein.

Die Produktionsprozesse für vegane Wurst ähnelt derjenigen auf Fleischbasis. Hier ein Mitarbeiter von Rügenwalder Mühle an einem Kutter, mit dem Veganer Schinken Spicker hergestellt wird (Bild: Rügenwalder Mühle).

So wie ich es verstehe, ist auch bei Rügenwalder Mühle Transformation ein fortlaufender Prozess. Sie beschäftigen sich vor dem Hintergrund auch intensiv mit dem Thema „Nahrung der Zukunft“. Wie sieht die für Sie aus?

Michael Hähnel: Die Ernährung der Zukunft wird – nicht nur bezogen auf Deutschland – sehr viel mit damit zu tun haben, wie sich die Landwirtschaft entwickeln wird. Denn die steht als Ganzes ebenso vor einer Transformation wie die Rügenwalder Mühle vor zehn Jahren. Und auch hier kommen wir zur Frage, wie man die Menschen mitnimmt: In diesem Fall die Landwirte. Die muss man besser unterstützen, wenn sie sich bei der Viehzucht in Richtung Bio entwickeln oder über den Anbau anderer Sorten nachdenken sollen.

Veränderung darf nicht in Existenzängsten enden. Dann gibt es auch keine Straßenblockaden mit Traktoren.

Die jüngsten internationalen Krisen von Corona über den Ukrainekrieg bis zur angespannten Situation zwischen China und Taiwan zeigen zudem, wie gefährlich Rohstoffabhängigkeiten sind. Wir müssen dahin kommen, unseren Bedarf mehr mit Produkten aus der deutschen Landwirtschaft abdecken zu können. Da sind wir schnell beim Thema Subventionspolitik: Den bisherigen Ansatz, Fläche und nicht das „Wie“ deren Nutzung zu fördern, halte ich nicht für zielführend.

Und was werden wir in Zukunft essen?

Michael Hähnel: Als einen Teil der Ernährung der Zukunft sehe ich zum Beispiel kultiviertes Fleisch. Vor dem Hintergrund dessen, dass sich die weltweite Nachfrage nach Fleisch in den kommenden Jahren vervielfachen wird, mit allen ökologischen Konsequenzen. Zumindest was die jüngere Zielgruppe angeht, würden 80 Prozent das heute schon ohne Probleme essen. Hier gibt es allerdings noch keinen wirklichen Durchbruch, weil immer noch die Skalierbarkeit fehlt. Selbst wenn einzelne Startups das von der Qualität her schon sehr gut hinbekommen. Die treffen allerdings der EU auf sehr restriktive Rahmenbedingungen und gehen oft lieber in die Schweiz oder nach Singapur.

Das Interview führte Alexander Kolberg.

Food for Change – radikale Transformation als Erfolgsfaktor

Veranstalter: Enkelfähigkeit®-Akademie
Datum, Zeit und Ort:
26. Juni 2024, Bad Zwischenahn (10.00 bis 18.00 Uhr)
16. Oktober 2024, Hamburg (10.00 bis 18.00 Uhr)
Referent: Michael Hähnel, CEO Rügenwalder Mühle

Transformation hat viele Gesichter. Sie ist erforderlich auf dem Weg zur Enkelfähigkeit® und sie kann auf unterschiedliche Art angegangen und auf verschiedenste Weisen gestaltet werden. Aber sie bedeutet immer Aktion und Reaktion – für und auf äußere Umstände und vor allem auch auf Bedürfnisse der Menschen, sowohl der Menschen im Unternehmen selbst, als auch der der Konsument:innen und Handelspartner:innen. Transformation erfordert Mut und Innovationsgeist. Gegründet 1834 ist die Rügenwalder Mühle seit jeher ein Familienunternehmen, inzwischen in der siebten Generation. In seinem fast 190-jährigen Bestehen hat es sich immer wieder wandeln, auf äußere Umstände reagieren und in Teilen auch daran anpassen müssen. Die wohl größte Transformation des Unternehmens war der Schritt in 2014 von einem rein Fleisch verarbeitenden Betrieb zu einem Lebensmittelhersteller sowohl für Fleisch- und Wurstwaren als auch für vegane und vegetarische Fleisch- und Wurstalternativen. Michael Hähnel, der CEO der Rügenwalder Mühle, zeigt an diesem Beispiel, wie die erfolgreiche Transformation eines traditionellen Familienunternehmens gelingen kann, wo die größten Herausforderungen liegen und wie diesen begegnet werden kann.

Weitere Informationen zu Inhalt und Anmeldung finden Sie hier.

 

Über die Person

Michael Hähnel ist seit Januar 2020 der Vorsitzende der Geschäftsleitung der Rügenwalder Mühle. Zuvor war er als Vorstand der Bahlsen Gruppe und in verschiedenen internationalen Top-Management-Positionen bei Beiersdorf tätig. Erste berufliche Erfahrungen sammelte er bei Johnson & Johnson. Michael Hähnel ist gelernter Bankkaufmann und graduierte an der Georg-August-Universität in Göttingen zum Diplom-Kaufmann.

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