Prof. Dr. Georg Kraus, Geschäftsführender Gesellschafter Kraus & Partner Change- oder Transformationsprojekt?

Im Managementbereich hat sich nach dem Begriff Change ein neues Buzzword etabliert: Transformation. Noch vor wenigen Jahren wurde dieser Begriff eher selten in den Verlautbarungen der Unternehmen verwendet; heute hingegen findet man ihn in fast allen Statements der Unternehmen, die deren Zukunft betreffen.
Die beiden Begriffe werden irrtümlich oft synonym verwendet
Im Gespräch mit den firmeninternen Transformationsexperten stellt man jedoch oft fest: Den meisten fällt es schwer, genau zu sagen, was einen Transformations- von einem Change-Prozess unterscheidet. Häufig werden die beiden Begriffe synonym verwendet. Dabei gibt es zwischen ihnen durchaus Unterschiede:
Das Wort Change bezeichnet schlicht eine Veränderung. So ist es zum Beispiel ein Change- bzw. Veränderungsprozess, wenn in einem Unternehmen die PCs ausgetauscht werden. Ein Change ist es auch, wenn Abläufe optimiert, Teams neu formiert oder Mitarbeiter eingestellt bzw. entlassen werden. Ein Change kann sich also, er muss sich aber nicht auf alle drei Ebenen beziehen, die zum Beispiel dem Beratungsdreieck von K&P zugrunde liegen, nämlich die Unternehmensstrategie, -kultur und -struktur.
Sich transformieren heißt sich neu erfinden
Anders ist dies bei einer Transformation. Hierunter versteht man den Prozess der gezielten Umgestaltung der „genetischen“ Grundstruktur eines Systems. Im Verlauf dieses Prozesses
- definiert zum Beispiel ein Unternehmen sich selbst und die Beziehungen zu seiner Umwelt neu und
- hinterfragt neben seiner Strategie und seinem Geschäftsmodell auch seine Geschäftsprozesse und gestaltet diese bei Bedarf radikal um.
Das Unternehmen erfindet sich sozusagen neu.
Die Transformation eines Unternehmens lässt sich am ehesten mit der Metamorphose vergleichen, die viele Insekten im Laufe ihres Lebenszyklus durchlaufen. So gibt es zum Beispiel bei einem Schmetterling die Entwicklungsphasen Ei, Raupe, Puppe und Falter. Und beim Übergang von einem Entwicklungsstadium ins nächste wandelt sich das genetische Material vollständig um. Doch nicht nur dies! Eine Schmetterlingsraupe hat auch andere Fähigkeiten als der Falter am Ende des Entwicklungszyklus: Eine Raupe kann zum Beispiel nicht fliegen.
Das Unternehmen entwickelt eine neue Identität
Ähnlich verhält es sich bei der Transformation eines Unternehmens. Auch in diesem Prozess wird unter Rückgriff auf die vorhandenen Ressourcen das System Unternehmen so radikal umgestaltet, dass die transformierte Organisation für Personen, die mit ihr längere Zeit keinen Kontakt hatten, kaum wiedererkennbar ist, denn neben ihrer Strategie haben sich auch ihre Kultur und Struktur gewandelt.
Das heißt, nach dem Transformationsprozess verfügt eine Organisation außer über eine neue Identität, auch über neue Kompetenzen. Deshalb benötigen auch ihre Mitarbeiter teils neue Fähigkeiten und Fertigkeiten.
So weit so gut! Es gibt jedoch auch Unterschiede zwischen der Metamorphose eines Schmetterlings und der Transformation eines Unternehmens. Bei einem Schmetterling ist der Transformationsprozess genetisch festgelegt: Erst Ei, dann Raupe, dann Puppe, dann Falter. Er läuft sozusagen automatisch ab.
Bei der Transformation eines Unternehmens hingegen gilt es ausgehend von einer Vision das System Unternehmen Schritt für Schritt gezielt zu entwickeln bzw. zu verändern.
Transformationsprozesse sind komplexe Changeprozesse
Letztlich ist jeder Transformationsprozess ein komplexer Changeprozess, der seinerseits wiederum aus einer Vielzahl von Changeprojekten besteht, die sich wechselseitig beeinflussen. Entsprechend groß muss die Change-Management-Kompetenz der für den Transformationsprozess verantwortlichen Personen sein. Sie müssen zudem bei ihrer Arbeit, um zwei Termini aus dem agilen Projektmanagement zu gebrauchen, inkrementell und iterativ vorgehen. Sie müssen also im Projektverlauf immer wieder checken,
- erzielen unsere Veränderungsinitiativen die gewünschten Wirkungen und
- bewegt sich die Organisation in Richtung des angestrebten Ziels
sowie bei Bedarf die nötigen Korrekturen vornehmen. Entsprechend groß sollte neben ihrer analytischen, ihre kommunikative Kompetenz sein, um den Beteiligten die Notwendigkeit der Kurskorrekturen zu vermitteln.
Bei Transformationsprozessen ist das Ziel oft unklar
Komplex ist die Aufgabe, Transformationsprojekte zu planen und zu steuern, auch, weil hierbei – anders als bei der Metamorphose eines Schmetterlings – auch das Endziel des Prozesses unter Vorbehalt steht, unter anderem, weil dieser sich in einem dynamischen Umfeld vollzieht. So kann heute zum Beispiel noch kein Top-Manager in der Autoindustrie mit Gewissheit sagen:
- Wie werden in 15 oder 20 Jahren die Autos bzw. menschlichen Fortbewegungsmittel konstruiert und gebaut sein?
- Wer sind dann, sofern wir noch existieren, unsere schärfsten Mitbewerber? Und:
- Wird es dann überhaupt noch einen motorisierten Individualverkehr geben oder ist dieser im Gefolge des Klimawandels verboten?
Die Manager in der Automobil-Industrie können sich beim Entwickeln der Vision für ihr Unternehmen also bestenfalls auf begründete Annahmen stützen. Trotzdem müssen sie heute bereits damit beginnen, ihr Unternehmen zukunftsfit zu machen. Entsprechendes gilt für die Top-Entscheider in vielen Branchen.
Transformationsprozesse erfordern eine hohe Agilität
Deshalb müssen die Transformationsverantwortlichen bei der Projektplanung und -steuerung agil sein und bleiben. Entsprechend groß sollte neben ihrer Change- ihre Projekt-Management-Kompetenz sein. Zudem sollten sie reife Führungspersönlichkeiten sein, denen die Betroffenen bereitwillig folgen, weil sie ihnen aufgrund ihrer fachlichen Kompetenz und Persönlichkeit vertrauen.
Über die Person
Prof. Dr. Georg Kraus, ist geschäftsführender Gesellschafter der auf das Themenfeld Change und Transformation spezialisierten Unternehmens- und Strategieberatung Kraus & Partner, Bruchsal. Der promovierte Diplom-Wirtschaftsingenieur ist neben seiner Beratungstätigkeit Lehrbeauftragter an der Universität Karlsruhe, der IAE in Aix-en-provence und der St. Gallener Business-School; zudem Honorarprofessor an der technischen Universität Clausthal. Neben mehreren Fachbüchern schrieb er mit den beiden... mehr
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