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Kolumne Isabell Klawitter Beste Ager - In der Freizeit umgarnte, als Arbeitskraft oft nicht geschätzt

Ab wann ist man eigentlich alt, habe ich mich letztens gefragt. Ich ertappe mich dabei, dass ich mich jetzt häufiger selbst so bezeichne, meistens humorvoll, und wenn es darum geht, dass ich nicht mehr so beweglich bin, auf Anhieb etwas nicht verstehe et cetera. Ich spiele gerne mit diesen Stereotypen, auch, damit wir sie hinterfragen.
In unseren Workshops mache ich gerne eine Übung, die nennt sich „Tratschen in Anwesenheit“. Die habe ich nicht erfunden, sondern in meiner Coachingausbildung beim ifs bei dem wunderbaren Reinert Hanswille kennengelernt. Das geht so: Ich sage, dass ich zwei Kinder habe, aus Köln komme, Psychologin bin und 58 Jahre alt.
Klischees und Stereotype
Dann stelle ich den Teilnehmenden oft drei Fragen: Wie wohne ich wohl, wie bin ich eingerichtet, was habe ich für Hobbys und wo fahre ich in Urlaub hin? Manchmal lasse ich auch noch raten, was ich für Musik höre. Ich musste schon oft darüber lachen, wie gut Klischees und Stereotype funktionieren, und weiß, dass ich über mein Äußeres und die Kleidung die Assoziationen auch ein bisschen lenken kann. Aber feststeht: Über die letzten 20 Jahre haben sich meine Einrichtung, Hobbys und Reisen den Vorstellungen vom Alter angepasst.
Man glaubt, dass ich eher zur Nord- und Ostsee fahre, als dass ich die Karibik bereise, ich fahre Fahrrad und lese gerne, als dass ich Free Climbing oder Rafting mache (gut, liegt nicht nur am Alter, auch mittlerweile der veränderten Figur, dass Sport nicht mehr so häufig vorkommt), und ich wohne bodenständig rustikal, in viel Holz. Mir fällt dabei auch auf, dass mein Radius sich sehr verkleinert hat in den Beschreibungen. Und ja, einiges trifft dann auch zu, ich mag tatsächlich die Nordsee sehr. Ja, aber immer schon, auch mit 19.
Eine Hypothese
Mich macht das nachdenklich, wenn ich auf uns Alte in den Unternehmen schaue. Denn natürlich gibt es noch viel mehr Altersstereotype in den Köpfen der Menschen, und einige stellen ein echtes Problem dar. Als Diagnostikerin frage ich gerne in meinen Potenzial-Checks die Führungskräfte nach schwierigen Führungssituationen.
Und zu den Top 3 gehört der Fall, dass man auf einen älteren Mitarbeiter trifft, dem eine Neuerung erklärt wird und dieser will einfach nicht mitmachen, ist veränderungsresistent.
(Häufig ist das eine Hypothese, noch gar nicht selbst erlebt). Gut, es gibt gewisse Wahrscheinlichkeiten, auf solche Menschen in einem heterogenen Team zu treffen, aber es ist erstmal ein Klischee. Es stimmt durchaus, das ältere Menschen, die schon lange in Routinen unterwegs sind, sich nicht leicht mit Veränderungen tun. Aber neben dem Alter sind es eben auch unsere Persönlichkeit und unsere Erfahrungen, die Einfluss darauf nehmen, wie wir mit Situationen umgehen.
Nicht prinzipiell Gegner
Wenn ich von meiner Persönlichkeitsstruktur her eher wenig Interesse, Neugier sowie Motivation für Veränderung und Abwechslung mitbringe und zudem für Mut und Ausprobieren vielleicht auch in der Unternehmenskultur nicht belohnt, sondern eher bestraft wurde, mal ehrlich, wie viel Lust hätten Sie dann auf Veränderung?
Ältere Menschen sind nicht prinzipiell Gegner von Veränderungen. Sie müssen vielleicht anders angesprochen, unterstützt, motiviert, bestärkt werden. Und vor allem sollte ich ihnen mit einer anderen Haltung begegnen. Ich darf nicht davon ausgehen, dass der andere widerspenstig und ruppig sein wird und seine Stille bedeutet: „Ich bin mit deinen Veränderungen nicht einverstanden.“
Und wenn ich sein häufiges Nachfragen als schlechte Lernfähigkeit im Alter deklariere, dann werde ich das genauso wahrnehmen, bewerten und mich bestätigt fühlen. Die gute alte „Self-Fulfilling-Prophecy“ schlägt dann wieder zu. Dann kann ich es auch eigentlich gleich lassen.
Gelassener bei Konflikten
Ich habe den Eindruck, dass in vielen Unternehmen die Fähigkeiten und das Potenzial, was bei älteren Menschen liegt, unterschätzt wird.
Dabei wissen wir aus der Forschung, dass einige Kompetenzen und Fähigkeiten, wie zum Beispiel im Alltag mit Konflikten besser und gelassener umzugehen, besser ausgeprägt sind als bei jungen Menschen.
Und dennoch ist wenig Aufmerksamkeit auf die Gruppe 55+, ihre Wünsche, Potenziale und Pläne gerichtet. In der Personalentwicklung finden sie wenig Beachtung mit ihren speziellen Bedürfnissen. Aber es wäre auch unter Berücksichtigung des demografischen Wandels so wichtig, mit ihnen ins Gespräch zu kommen.
Ausstieg eine passable Alternative
Wer sich jetzt in dieser Gruppe nicht gesehen und gewertschätzt fühlt, auf seine Pläne für die nächsten Jahre nicht angesprochen wird, beschließt vielleicht ganz allein für sich, dass ein Ausstieg aus dem Arbeitsleben, und zwar (deutlich) früher als vor dem gesetzlichen Rentenalter, auch eine passable Alternative ist, um endlich seinen Leidenschaften und Themen nachzugehen, die richtig Spaß machen.
Und jetzt stellen wir uns mal vor, was passiert, wenn Unternehmen diese Mitarbeitenden weit früher als gedacht verlieren?
Wir wissen alle längst, dass wir die aufkommenden Lücken nicht mit den vorhandenen, nachrückenden Arbeitskräften schließen können. Und von dem verlorenen Wissen will ich gar nicht reden.
Also, warum findet die Gruppe 55 plus so wenig positive Aufmerksamkeit? Warum werden Sie nicht auch als Talente gesehen, die es gilt, bedürfnisgerecht zu fördern und zu unterstützen? Wenn diese Zielgruppe als Arbeitnehmende mal halb so viel umgarnt würde wie von der Konsumindustrie als Best Ager, dann kämen wir ein gutes Stück voran.
Über die Person
Isabell Klawitter ist Managing Partner bei Talentwirtschaft Krause & Partner, einer Beratung für Talent Management. Sie hat in über 33 Jahren mehr als 5.000 Fach- und Führungskräfte bei Fragen der beruflichen Eignung und Positionierung begleitet. Sie ist Expertin in der Managementdiagnostik und wählt dabei immer eine gute Mischung aus wissenschaftlich basierten Methoden und qualitativem Ansatz: Der Mensch ist mehr als die Summe seiner Teile. Psychologische Eignungsdiagnostik ist keine reine... mehr
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