Strukturwandel bei BAYER Andersons Tanz mit den Investoren

BAYER CEO Bill Anderson übernahm keine leichte Aufgabe, als er im Juni letzten Jahres die Nachfolge von Werner Baumann antrat. Die immer prekärer werdende Lage des deutschen Chemie-Riesens nach der folgenschweren Monsanto-Übernahme einer der Hauptgründe dafür, dass die Wahl letztendlich auf Anderson fiel. Denn der US-Amerikaner hatte gerade erst äußerst erfolgreich eine umfassende Umstrukturierung beim Schweizer Pharmakonzern Roche verantwortet. Allerdings ist die Situation bei BAYER wesentlich brisanter und noch erzielt Andersons Playbook nicht die gewünschten Effekte: Nachdem er im März seine Turnaround-Strategie auf dem Kapitalmarkttag in London vorstellte, sackte der Aktienkurs kurzzeitig um sechs Prozent ab.
Au BAYER!
Durch die Übernahme des amerikanischen Agrarchemie-Konkurrenten Monsanto hat sich BAYER über Umwege in eine umfassende Krise manövriert. Der Kaufpreis betrug 2018 satte 63 Milliarden Dollar (was Experten schon damals mehrheitlich als zu hoch empfanden), und noch während die Akquisition finalisiert wurde, kam eine Klagewelle rund um das mit-übernommene Herbizid Glyphosat ins Rollen, deren Konsequenzen kolossal unterschätzt wurden.
Bisher hat Bayer 11,3 Milliarden Euro für Rechtsstreitigkeiten zahlen müssen, im vergangenen Jahr waren es noch immer 2,1 Milliarden Euro.
Die anhaltende Unsicherheit rund um den weiteren gerichtlichen Verlauf zieht die Aktienbewertung BAYERs massiv herunter: Mit 27 Milliarden Euro liegt sie mittlerweile ein gutes Stück unter der Nettoverschuldung des Konzerns, die auf 34,5 Milliarden Euro angestiegen ist. 2023 verbuchte BAYER gar einen Verlust von 2,9 Milliarden Euro. Der resultierende mangelnde Free Cash Flow (2023: 1,3 Mrd. €) verursacht vorne und hinten neue Probleme: Zum einen riskiert BAYER damit sein Kreditranking, zum anderen fehlt das Geld, die Schulden abzubauen. Darüber hinaus bräuchte es gerade jetzt eigentlich umfangreiche Investitionen, um die Pharma-Pipeline zu stärken.
Auch Pharma schwächelt
Denn neben der von Reputationsverlust und Rechtsstreitigkeiten gezeichneten Agrarchemie-Sparte schwächelt momentan auch zunehmend der Pharma-Bereich. 2024 laufen die beiden umsatzstärksten Medikamente BAYERs aus. Allein der Gerinnungshemmer Xarelto und das Augenmittel Eylea generierten 2023 zusammen über sieben Milliarden Euro und damit etwa 15 Prozent des Jahresumsatzes. Dazu fiel ein potenzielles „Blockbuster“-Produkt, das Schlaganfallmittel Asundexian, mit dem BAYER einen jährlichen Umsatz von bis zu fünf Milliarden Euro anvisierte, durch die dritte und letzte Testphase.
Noch scheinen die Pharma-Manager keinen adäquaten Ersatz für die drohenden Umsatzlücken gefunden zu haben. Die offensichtlichste Lösung wären teure Patentzukäufe.
Einzig die Sparte der „Consumer Health“ (Rezeptfreies, wie Aspirin) läuft momentan gut, weshalb eine Abspaltung hiervon der schnellste Weg wäre, Wert am Kapitalmarkt zu generieren. Anderson will eine Spaltung allerdings möglichst vermeiden, da man hierdurch wichtige Synergien verlöre. Auch ein Verkauf von Geschäftsteilen ergibt momentan wenig Sinn: Der zu erwartende Verkaufspreis wäre aller Voraussicht nach enttäuschend.
Sparen statt spalten
Um eine Spaltung abzuwenden, will Anderson den Rechtsstreit um Glyphosat endlich beilegen, die Agrarchemie- und Pharmasparte mit mehr Innovationen stärken sowie Bürokratie und Kosten drastisch reduzieren. Bei insgesamt etwa 100.000 Angestellten standen bis vor Kurzem 17.000 Führungskräfte (!) auf zwölf Hierarchie-Ebenen zwischen der Geschäftsführung und dem Kunden. Hier soll stark reduziert werden, genauere Zahlen nannte Anderson nicht.
Sein Ziel ist die Einführung eines neuartigen Organisationsmodells, das an seine Zeit bei Roche erinnert und den Konzern schrittweise deutlich schlanker und agiler aufstellen soll.
„Dynamic Shared Ownership“, so der Name des Modells (kurz: DSO), soll Mitarbeitenden wesentlich mehr Verantwortung übertragen. Sie sollen zukünftig in 90-Tages-Sprints selbst organisieren und rund 95 Prozent der Entscheidungen im Team und eben ohne Führungskraft treffen. Dies betrifft, wie und woran sie arbeiten und was genau sie wofür entwickeln – solange es im Dienst des Kunden, der Produkte oder des Unternehmens steht. Führungskräfte sollen zukünftig vorrangig eine Coaching-Rolle einnehmen.
Als Leitfaden für Innovation gab Anderson aus, alles zu intensivieren, das Wachstum brächte, und alles radikal zu verschlanken, das nicht dazu beitrüge.
Zum Beispiel der interne Regelkatalog von sage und schreibe 1.362 Seiten. Die Einhaltung und Pflege eines solchen Katalogs erforderten massive Ressourcen, die an anderer Stelle wesentlich gewinnbringender einzusetzen wären. Bis 2026 sollen so bis zu zwei Milliarden Euro an jährlichen Betriebskosten gespart werden.
Kritik an Anderson
Nachdem die desaströse Monsanto-Übernahme von den BAYER-Eigengewächsen Baumann und dem Aufsichtsratsvorsitzenden Werner Wenning vorangetrieben wurde, forderten Investoren im vergangenen Jahr immer lautstarker eine frische, veränderungswillige Perspektive von außen. Als bekannt gegeben wurde, dass Bill Anderson BAYERs Geschicke leiten sollte, schoss der Aktienkurs kurzzeitig um sechs Prozent nach oben. Doch ein Jahr nach seinem Antritt ist der ohnehin schon angeschlagene Kurswert um weitere 50 Prozent gesunken. Vielen Investoren gehen Andersons Verschlankungs-Maßnahmen nicht weit genug.
Ingo Speich, Leiter Nachhaltigkeit und Corporate Governance bei der Fondsgesellschaft Deka, vertrat auf BAYERs Hauptversammlung Ende März die Stimmrechte von 4,5 Millionen Anlegern und verlieh dem kollektiven Ärger Ausdruck: »Das Haus Bayer brennt lichterloh, und Sie als Hausherr fangen zuerst einmal an aufzuräumen, anstatt die Brände zu löschen.« Anderson gab sich auf der Hauptversammlung beschwichtigend: „Es wird keine schnelle Lösung innerhalb eines Jahres sein, und es wird schwierige Momente geben“. Trotz teilweise massiver Kritik wurden letztendlich sowohl Vorstand als auch Aufsichtsrat entlastet und der Vergütungsbericht gebilligt.
Fazit
Anderson hat auf Zeit gespielt und die Aktionäre vorerst besänftigen können. Das liegt unter anderem an zwei neuen Aufsichtsratsmitgliedern. Der aktivistische Investor Jeffrey Ubben und Lori Schechter, die den amerikanischen Pharma-Distributor McKesson gegen Opioid-Klagen vertrat. Mit diesem Schachzug bekommt die BAYER-Spitze eine ganz neue Einsicht in das amerikanische Rechtssystem, mit dem sich die Niederlegung der Rechtsstreitigkeiten beschleunigen sollte. Auch das DSO-Modell birgt ein hohes innovatives Potenzial, es geht weit über bloßes Cost-Cutting hinaus.
Eine derartige Entbürokratisierung und Kulturtransformation ist mit ziemlicher Sicherheit das interessanteste Management-Experiment in einem deutschen Konzern.
Allerdings wird es dauern, bis die breite Masse der Mitarbeitenden in der neuen, eigenständigen Arbeitsweise ankommt. Auch bleibt abzuwarten, ob die Sparmaßnahmen kurzfristig genug Früchte tragen werden, um die dringend benötigten Investitionen in u.a. die Pharma-Pipeline zu ermöglichen. Nach wie vor werden Andersons Strategie Zeit benötigen. Falls damit aber eine Spaltung vermieden werden kann, wird BAYER langfristig davon stark profitieren. Die Frage ist nur, ob und wie weit er die Geduld der Investoren wird strapazieren können.
Über die Person
Kaan Bludau ist Gründer und Geschäftsführer von BludauPartners Executive Consultants GmbH, die auf die Besetzung von gehobenen Top-Management-Positionen spezialisiert ist. Zudem ist er Inhaber von GEMINI Executive Search GmbH, die als Wegbereiter in der Entwicklung und Besetzung der Position des CAIO gilt und gezielt Fach- und Führungskräfte über KI-basierte Technologien innerhalb des KI-Sektors vermittelt.
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