Andreas Scheuermann, Auctority Achtung: KI wird uns Arbeit kosten!

Drei Stunden Arbeit am Tag, entsprechend 15 Stunden die Woche – das sollte laut einer Prognose des Ökonomen John Maynard Keynes genug Arbeit für uns alle sein. Die Prognose stammt aus dem Jahr 1930 und bezieht sich auf das Jahr 2030. Angesichts von Fachkräftemangel klingt das für uns derzeit eher unrealistisch. Ganz zu schweigen von der Frage: Kann man von drei Stunden Arbeit täglich die Miete, das Auto und den Spargel vom Wochenmarkt bezahlen? Nun denn, wir haben ja noch fünf Jahre Zeit, das hinzubekommen. Und die KI wird uns dabei helfen, sagen einige.
John Maynard Keynes, “Economic Possibilities for our Grandchildren (1930)”
„For three hours a day is quite enough to satisfy the old Adam in most of us!“
Verschwindet die Arbeit?
Dass KI die Arbeitswelt drastisch verändern wird, darin sind sich viele ExpertInnen einig. In welcher Form allerdings, daran scheiden sich die Geister. Die Herren Frey und Osborne etwa finden sich in einer Zeitkapsel gefangen, die sie 2013 selbst erschufen. Sie prognostizierten damals, dass 47 Prozent aller Jobs in den USA innerhalb von 10 bis 20 Jahren durch die Arbeit von Computern ersetzt werden könnten.
KI war damals aber noch gar nicht gemeint, sondern schlichte Automatisierung repetitiver Arbeit. Ganz so schnell ging es dann allerdings nicht. Entsprechend bestehen die Professoren auch mehr als zehn Jahre später noch darauf, dass Jobs weiter automatisiert werden, allerdings keinesfalls durch KI.
Bei McKinsey haben schlaue Leute einfach auf die Unterscheidung zwischen Automatisierung, Digitalisierung und KI verzichtet. Auch hier scheint das Jahr 2030 ein magischer Bezugspunkt zu sein. Bis dahin ist man der Meinung, dass global bis zu 375 Millionen Jobs der technologischen Entwicklung zum Opfer fallen, und perspektivisch 50% aller Jobs durch heute schon verfügbare Technologien automatisierbar wären.
Die Disruption ist im Gange
Ob nun Automatisierung, Digitalisierung oder KI, der Klang des Disruptiven schwingt allenthalben mit, wenn es um die Technologien der Zukunft geht. Grund genug, sich des Themas „Technologische Disruption auf dem Arbeitsmarkt“ einmal genauer anzunehmen. Die Harvard-Forscher David Deming, Christopher Ong und Larry Summers haben das im Auftrag des National Bureau of Economic Research getan und die Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt durch neue Technologien bis ins Jahr 1880 zurückverfolgt.
Ein paar Erkenntnisse sind bemerkenswert, aber der Reihe nach:
- Künstliche Intelligenz ist voraussichtlich eine sogenannte „General Purpose Technology“
(lustigerweise abgekürzt als GPT). Soll heißen: Wird nach und nach in vielen Bereichen Einzug halten und geht auch nicht wieder weg. - Solche „Basistechnologien“ wirken sich immer disruptiv auf den Arbeitsmarkt aus. Alte Jobs verschwinden, neue Beschäftigungsfelder entstehen.
- Allerdings hat sich der disruptive Charakter im letzten Jahrhundert abgeschwächt: Disruptionen haben nicht mehr die umfassende Veränderungsdimension wie zu jener Zeit der Dampfmaschine oder der Elektrizität.
- Auch wenn die disruptive Technologie schlagartig durchbricht – die breite Durchdringung des Arbeitsmarktes dauert länger, als man gemeinhin annehmen könnte.
- Der anhaltende Trend der letzten Jahre ist „skill upgrading“ – geringe und mittlere Qualifikation verlieren an Bedeutung, hochbezahlte und qualifizierte Jobs gewinnen.
Die Autoren beschreiben die Veränderungen am Arbeitsmarkt mit dem Begriff „churn“, einer Art „Umwälzung“. Mit einer Prognose halten sie sich zurück, sehen aber in der Zunahme der MINT-Berufe einen möglichen Indikator dafür, dass Künstliche Intelligenz nach vielen Jahren der Ruhe am Arbeitsmarkt eine Phase der Beschleunigung einläuten könnte. Kurzfristig sehen sie deshalb durch KI sogar einen erhöhten Bedarf an Wissensarbeit in den Unternehmen.
“The automation of individual job tasks does not necessarily reduce employment and may even lead to job gains in some sectors of the economy.”
Deming, Ong, Summers, TECHNOLOGICAL DISRUPTION IN THE LABOR MARKET, 2025
Welche Arbeit übernimmt KI?
Der Frage, ob auch Experten-Jobs durch AI gefährdet sind oder profitieren, ist David Autor vom MIT nachgegangen. Und verweist zuerst einmal auf ein mögliches Missverständnis: Warum glauben viele, dass der Einzug von KI in eine Tätigkeit automatisch zugleich das Ende dieses Berufsprofil darstellen sollte?
Autor untersucht, welche menschliche „Expertise“ zukünftig vom Arbeitsmarkt gefordert (und honoriert) werden wird. In teilweisem Gegensatz zu den Erwägungen von Deming, Ong und Summers sieht Autor zwei parallellaufende Effekte:
- Automatisierbare Expertise wird durch Maschinen produktiver übernommen, die verbleibenden einfachen Tätigkeitselemente machen den Job weniger anspruchsvoll – und damit geringwertiger entlohnt.
- Demgegenüber führt die Automatisierung einfacher Tätigkeiten dazu, dass höherwertige Tätigkeiten übrigbleiben, die ihrerseits erneut höhere Qualifikation erfordern.
In einem Vortrag beim Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zeigt Autor zudem auf, dass relativ wenige Berufe tatsächlich in Gänze verschwinden, und genauso wenig komplett neue Berufe entstünden. Vielmehr findet die Veränderung innerhalb der Berufsbilder selbst statt. Ein Teil der Fähigkeiten und Fertigkeiten wird weniger oder gar nicht mehr gebraucht, muss aber ersetzt werden durch andere. Zweifelsohne bei vielen zukünftig dabei: KI-Grundwissen.
Wo steht HR?
HR sieht sich in mehrfacher Hinsicht inmitten des von David Autor beschriebenen Spanungsfeldes. HR will die Arbeit im Unternehmen strategisch gestalten, produktiv und wertschöpfend machen. Das ist der transformationale Teil der Arbeit. Zugleich ist der Anteil an administrativen Tätigkeiten innerhalb von HR beachtlich und ruft förmlich nach Automatisierung. Und so gilt auch im doppelten Sinne:
KI wird HR eine Menge Arbeit kosten.
Um den administrativen Anteil muss man nicht trauern – KI wird einiges davon übernehmen. Bis die neue Allzweck-Technologie das Unternehmen allerdings in allen Bereichen durchdrungen hat, musss ausprobiert, experimentiert, implementiert und nicht zuletzt auch überzeugt werden. Als „General Purpose Technology“ ist die Einführung von KI insofern die eigentliche transformative Kernaufgabe für HR. Es ist nie zu früh, damit anzufangen. Und es ist nie falsch, damit bei sich selbst anzufangen. Nur ob das mit den drei Stunden Arbeit täglich hinhaut – da bin ich skeptisch.
Fußnote zum Schluss:
Bei der Recherche für diesen Text hat KI geholfen. Beim Schreiben bin ich eitel – das mache ich noch selbst.
Über die Person
Andreas Scheuermann ist Senior Advisor und Partner der Beratungsagentur Auctority, die auf Thought Leadership Strategien und Kommunikation zu Themen der Arbeitswelt spezialisiert ist. Der Autor ist zudem Stellvertretender Vorsitzender des DIN-Ausschusses „Gesellschaftliche Verantwortung und Nachhaltigkeitsmanagement“.
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